Wie kann man heute am biblischen Zeugnis der Schöpfung festhalten und dabei intellektuell redlich bleiben?
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Das biblische Zeugnis der Schöpfung ist facettenreich, durchzieht die gesamte Bibel und bezieht sich explizit auf die materielle Wirklichkeit unseres Universums. Dennoch sind Christen, die den biblischen Text als Autorität ernst nehmen, nicht in allen Punkten einig, wie man dieses Zeugnis im Einzelnen zu verstehen habe. Bibelleser, Theologen und Naturwissenschaftler ringen um ein angemessenes Zusammenbringen biblischer Aussagen und naturwissenschaftlicher Modelle.
Das Hauptproblem für einen fruchtbaren Diskurs stellt häufig ein von unterschiedlichen Seiten vertretener, unhinterfragbarer Dogmatismus dar. So kommt es nicht selten vor, dass Evolutionsbiologen wissenschaftlich testbare Modelle der Grundtypenbiologie ablehnen, weil sie von „Kreationisten“ entworfen seien, während umgekehrt wissenschaftlich begründete geologische Modelle von bibeltreuen Christen als „unbiblisch“ abgelehnt werden. So kann ein faires Zusammenspiel nicht gelingen. Ein naturwissenschaftliches Modell wird nicht widerlegt, indem man auf die vermeintlich falsche Weltanschauung des Wissenschaftlers oder auf eine naturwissenschaftlich nicht greifbare Autorität verweist. Wer am naturwissenschaftlichen Diskurs teilnehmen will, muss falsifizierbare Modelle entwickeln, die an empirisch erhobenen Daten und Experimenten testbare Vorhersagen machen und mit Vorhersagen alternativer Modelle verglichen werden müssen. Ein Modell erweist sich dann als falsch, wenn seine Vorhersagen nicht mit den Daten übereinstimmen. Es ist besser als ein anderes, wenn es vorhandene Daten genauer und umfassender erklärt und weniger nichttestbare Zusatzannahmen verwendet. Dabei kommt es nicht selten vor, dass über das bessere oder richtige Modell (noch) nicht entschieden werden kann. Wissenschaft lebt vom Wettkampf solcher Modelle. Wer also intellektuell redlich das biblische Zeugnis der Schöpfung vertreten möchte, muss sich auf die Ebene empirisch nachprüfbarer Aussagen einlassen, auch wenn deren prinzipielle Vorläufigkeit und empirisch oft bestehende Unentscheidbarkeit Unbehagen bereiten mag, ganz zu schweigen von den detaillierten Fakten, mit denen man umgehen muss.
Spannend wird es, wenn Aussagen der Naturwissenschaft unerwartet mit Aussagen der Bibel konvergieren. So geschah das z. B. vor hundert Jahren. Führende säkulare Wissenschaftler gingen davon aus, dass das Universum schon immer ohne einen Anfang existiert hat. Astrophysiker Sir Arthur Eddington (1882–1944) formulierte: „Aus philosophischer Perspektive ist die Vorstellung eines Anfangs der gegenwärtigen Naturordnung abstoßend ... Ich würde gern ein Schlupfloch finden ...” (Nature 127 [1931], S. 450). Doch beginnend in den 1920er-Jahren stellten Wissenschaftler theoretische Modelle auf, die einen Anfang des Universums postulierten und die Schritt für Schritt durch Beobachtungen bestätigt wurden. Das ewig existierende Universum wird heute wieder in waghalsigen Spekulationen vertreten. Die wissenschaftlich falsifizierbare Aussage der Bibel über einen Anfang gilt jedoch momentan als sehr gut bestätigt.
Der jüdische Physiker und Nobelpreisträger Arno Penzias schrieb: „Die Astrophysik verweist uns auf ein singuläres Ereignis, ein Universum, welches aus dem Nichts erschaffen wurde, das sehr fein ausbalanciert sein muss, um exakt die Bedingungen für die Existenz von Leben bereitzustellen, ein Universum mit einem zugrundeliegenden (man möchte sagen ‚übernatürlichen‘) Plan“ (in Margenau und Varghese [Hrsg.], „Cosmos, Bios and Theos“, La Salle, IL: Open Court, 1992, 83). Penzias bezieht sich hier 1992 bereits auf eine weitere unerwartete Entwicklung. Je mehr man die fundamentalen Parameter des Universums, also z.B. die Stärke der wirkenden Kräfte, die Größe der Elementarteilchenmassen usw., untersuchte, desto klarer wurde eine erstaunliche Feinabstimmung. Wenn sich die Verhältnisse dieser grundlegenden Konstanten nur minimal ändern sollten, führt das fast immer zu strukturlosen Universen, in denen es z. B. keine Atome und Sterne gibt, Universen, die nicht über die materielle Grundlage für organisches Leben verfügen. Auch diese Entdeckung konvergiert mit biblischen Aussagen: „Der HERR hat die Erde mit Weisheit gegründet und nach seiner Einsicht die Himmel bereitet“ (Sprüche 3,19).
Die Existenz eines biblischen Schöpfers wird also bereits durch akzeptierte Theorien der Mainstream-Wissenschaften mit überraschend hoher Plausibilität nahegelegt, natürlich nicht bewiesen (denn das ist mit der naturwissenschaftlichen Methode prinzipiell unmöglich). Die Frage, wie genau dieser Schöpfer dann die Welt erschaffen hat, ist zwar enorm interessant, aber vor allem im Dialog mit Skeptikern sekundär.
Natürlich prägt uns Menschen aber eine große Neugier, und wir möchten alles detailgenau wissen. Das ist auch gut so, wir sind so gemacht. Man sollte sich nur hüten vor einem zu festgefahrenen Bild der Dinge, das man nicht mehr von Indizien und Andersdenkenden hinterfragen lässt.
Christen aller Epochen haben um die Vereinbarkeit des Schöpfungsberichts mit wissenschaftlich allgemein akzeptierten Interpretationen von biologischen, geologischen und radiometrischen Daten gerungen. Jede schnelle, einfache Antwort läuft Gefahr, der Vielfalt der Fakten und Interpretationen nicht gerecht zu werden. Das soll aber nicht zu dem Eindruck führen, der biblische Bericht in Genesis 1–3 würde uns heute nichts sagen oder nur nach Erwerb verschiedener wissenschaftlicher Qualifikationen. Man kann Genesis 1-3 ohne Zweifel sehr wesentliche Informationen entnehmen, ohne die Bedeutung der Zahlenangaben in den Vordergrund zu stellen. Dass Schöpfer und Schöpfung verschieden sind, wer und wie der Schöpfer ist und was er will, was Wesen und Aufgabe des Menschen in der Schöpfung sind, dass es einen sehr guten Anfang und einen großen Vertrauensbruch gab – das sind Informationen, die auch für Denken und Handeln in der Wissenschaft grundlegend sind, ja Entstehung und Erfolg der Wissenschaft mitbegründeten.
Ohnehin eröffnen die Texte viele spannende Fragen: Was war außerhalb des Gartens Eden? Was änderte sich in der Natur und wie, sodass die Frau nach dem Sündenfall Schmerzen bei der Geburt empfand und Unkraut die Ackerarbeit massiv beeinträchtigte (und woher kam z. B. der Tetanus-Erreger?)? Welche Bedeutung spielte der Tod im Garten Eden (starben Darm-Bakterien beim Verdauen der Nahrung?)? Waren die Menschen per se unsterblich oder nur, weil sie vom Baum des Lebens essen konnten? Und wie war das mit den Tieren? Woher kommt die Schlange, und seit wann und wie kann sie in der Schöpfung wirken? Fragen, die in den Texten nicht explizit beantwortet werden, deren versuchte Beantwortung Christen seit allen Zeiten zu tiefen Überlegungen über das Leben und die Schöpfung anregte.
Bei allen diskutierbaren Detailfragen finden sich im gesamtbiblischen Zeugnis aber auch klare Aussagen, die zentral mit Gottes Heilsgeschichte zusammenhängen: Gott kann neben seinem naturgesetzlich beschreibbaren Erhaltungshandeln auch übernatürlich in seine Schöpfung eingreifen und hat dies auch mehrfach getan. Er erschuf ein reales erstes Menschenpaar in seinem Ebenbild, das sich von ihm abwendete und als Konsequenz das angekündigte Gericht des Todes erhielt. Ohne diese Grundlage steht auch das Evangelium auf wackeligen Beinen. Warum sollte sonst der Mensch schuldfähig und erlösungsbedürftig sein und warum sollte Christus erlösen können?
Intellektuelle Redlichkeit beinhaltet, die für die jeweilige Zeitepoche schwierig einzuordnenden Aussagen der biblischen Texte als solche anzuerkennen und mögliche Interpretationen nicht mit feststehenden Wahrheiten zu verwechseln, aber auch den Text nicht einfach bequem zu relativieren, sondern um eine textgerechte Auslegung immer wieder zu ringen und respektvoll mit Andersdenkenden und deren Denkvoraussetzungen umzugehen. Könnte es sein, dass Gott ganz bewusst nicht alle Details preisgegeben hat, die uns interessieren würden? So bleibt mir bei aller Neugier die Vorfreude darauf, wenn wir im himmlischen 4D-Kino den Live-Mitschnitt des tatsächlichen Ablaufes der Schöpfung anschauen können und dann erkennen werden, wie sich all die Dinge zusammenfügen, die uns heute noch so viel Kopfzerbrechen bereiten ...