Der Mensch – mehr als sein Gehirn?
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Was ist das Wesen des Menschen? Ein Gespräch mit Alexander Fink über die erstaunlichen Leistungen der Neurowissenschaft und deren Grenzen.
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Die Neurowissenschaft möchte die Funktionsweise und Struktur unseres Nervensystems verstehen. Das reicht von den biochemischen Prozessen, die in einer einzelnen Nervenzelle, einem Neuron, ablaufen, bis zu jenem erstaunlichen Organ mit circa 100 Milliarden Nervenzellen, das wir Gehirn nennen. Archäologische Spuren deuten daraufhin, dass schon vor 5000 Jahren die alten Ägypter ins Gehirn eingriffen. Seit dem 20. Jahrhundert bieten die nichtinvasiven Methoden der Elektro-Enzephalographie (EEG) und v. a. Der Magnetresonanz-Tomographie (MRT) Möglichkeiten, am lebenden Organismus die sich ändernde Aktivität des Gehirns zu untersuchen. Es finden also keine physischen Eingriffe in den Schädel statt.
Was hat die Neurowissenschaft über Religion, das Beten oder Gott herausgefunden?
Generell können Neurowissenschaftler nur untersuchen, welche Hirnareale ihre Aktivität ändern, wenn Menschen einer religiösen Aktivität nachgehen. Und da beginnt schon das Problem: Was ist eigentlich eine religiöse Aktivität? Als Christen sehen wir unser ganzes Leben als Gottesdienst an, also jede Tätigkeit von Essen über Reden, Musizieren, Gartenarbeit und Lesen von Romanen oder der Bibel. Neurowissenschaftler konzentrieren sich bei ihren Untersuchungen dagegen eher auf „besondere“ Transzendenzerfahrungen, wie sie bei Meditationen und in isolierter Umgebung auftreten.
Der Neuropsychologe Michael Persinger entwickelte in den 80er Jahren einen sogenannten Gotteshelm, den er Probanden aufsetzte, die sich 30 Minuten in einem dunklen Raum befanden. Mit einem Magnetfeld, das 20-mal schwächer als das Erdmagnetfeld war, stimulierte er den linken temporalen Scheitellappen, also eine Region über dem linken Ohr. Und etliche Versuchspersonen sollen Stimmen gehört haben. Stimulierte er die gleiche Region auf der rechten Seite, so sollen die Probanden die Präsenz eines anderen Wesens gespürt haben, was von Jesus über Buddha und Aliens reichte. War das nicht ein eindrücklicher Hinweis darauf, dass Transzendenzerfahrungen nur Einbildung sind? Problematisch wurde es, als 2005 eine schwedische Forschergruppe den Versuch nachvollziehen wollte und zwar in einer Doppelblindstudie. D. h. Weder die Versuchsperson noch der Versuchsleiter wussten, ob das Magnetfeld tatsächlich aktiviert wurde oder nicht. Das ernüchternde Ergebnis: die Kontrollgruppe (ohne tatsächliche Stimulation) berichtete genauso häufig von mystischen Erfahrungen wie die Gruppe derer, bei denen das Magnetfeld tatsächlich aktiviert wurde.
Die mystische Erfahrung in einem dunklen Raum scheint also vielmehr von der Persönlichkeitsstruktur und der Weltanschauung der Versuchsperson abzuhängen als von der Stimulation durch ein Magnetfeld. Auch Richard Dawkins unterzog sich bei Persinger dem Gotteshelm-Test, wohl um einer Begegnung mit Gott noch eine letzte Chance zu geben, allerdings ohne Erfolg. Diese Experimente wirbelten erst viel Staub auf, brachten aber letztlich keine großen Erkenntnisse. Interessanter sind da schon neuere Studien, die feststellen, dass Christen und Atheisten in völlig unterschiedlichen Hirnarealen erhöhte Aktivität aufweisen, wenn sie Psalm 23 lesen oder hören. Ein Hinweis auf die unterschiedlichen Assoziationen und Gefühle, die die Versuchspersonen bei diesem Psalm erleben.
Welche Argumente sprechen aus neurowissenschaftlicher Sicht dafür, dass wir Menschen uns Gott nur einbilden?
Das Argument lautet in etwa so: Eine Gotteserfahrung korreliert mit einer erhöhten Aktivität in einem bestimmten Hirnbereich. Das bedeutet, dass die Gotteserfahrung nur ein Produkt einer bestimmten Hirnregion ist, ihr aber keine transzendente Realität entspricht. Wir wissen also, wo Gott im Gehirn lokalisiert ist und warum manche Menschen aufgrund ihrer Hirnstruktur „anfälliger“ für den Glauben an Gott sind als andere.
Was lassen diese Argumente außer Acht?
Drei Punkte: Erstens die Frage, warum eine Gotteserfahrung unbedingt mit einem transzendenten Erlebnis einhergehen sollte. Ein Bibellesender mag eine hohe Aktivität in kognitiven Gehirnzentren aufweisen und eine sehr persönliche Erkenntnis Gottes erleben, ohne dass seine Transzendenz-Areale besondere Aktivität aufweisen. Zweitens: Wenn ich nachweise, dass das Geschmackserlebnis einer Pizza die Aktivität in einem Hirnareal besonders erhöht, zeigt das nicht, dass eine Pizza nur eine Illusion ist.
Es zeigt nur, dass das Gehirn zu dieser Erfahrung fähig ist – und das dürfte auch einen realen Grund haben. Drittens: Aktivität in einem Gehirnareal sagt nichts über den Inhalt der Erfahrung aus. Persingers Experimente wollen ja mit gleichen physikalischen Methoden völlig unterschiedliche Erlebnisse hervorgerufen haben (Jesus, Buddha, Aliens, ...). Das ließ sich aber nur herausfinden, indem die Probanden dies mit Worten mitteilten. Bedeutung bleibt den neurowissenschaftlichen Methoden verschlossen.
Manchen Christen bereiten die Forschungsergebnisse der Neurowissenschaft ja durchaus Unbehagen …
Natürlich sind die Fortschritte der Hirnforschung sowohl faszinierend als auch beängstigend. So ermöglicht die Hirnforschung Kommunikation mit Wachkomapatienten, die sich sonst in keiner Weise mitteilen können. Das geschieht durch Ja-Nein-Fragen. Als Reaktion sollen die Patienten sich unterschiedliche Tätigkeiten vorstellen, also zum Beispiel die Bewegung des rechten Arms als „Ja“. Die EEG-Muster der Hirnaktivität können dann auf den Patienten geeicht werden. Doch wenn hier so etwas wie Gedankenlesen möglich ist, könnte es nicht auch mit fortschreitender Technik in anderen Bereichen und gegen den Willen des Menschen möglich sein? Oder kann man bald durch geeignete Stimulationen das Verhalten von Menschen manipulieren? Dahinter steht auch die große Frage, wie sehr unser „Ich“ Herr im eigenen Körper ist. Materialisten wie der Philosoph Thomas Metzinger postulieren, dass das „Ich“ nur eine komplexe Illusion der Hirnneuronen sei, die dem Homo sapiens eine schnelle Reaktion auf Umweltbedingungen ermöglichte und damit seine Überlebenschancen erhöhte. Letztlich sei das „Ich“ aber „nichts“. Das wiederum macht für viele Neurowissenschaftler den Buddhismus attraktiv. Denn er behauptet ja gerade, dass Erlösung darin besteht, das personale Ich mit seinen Begierden zu überwinden und zu erkennen, dass man eigentlich eins mit allem anderen ist, also das Ich gar nicht existiert in Unterscheidung zum Rest der Welt.
Warum hat das Institut für Glaube und Wissenschaft begonnen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und was hat den Ausschlag gegeben, den Dokumentarfilm „Mehr als mein Gehirn“ zu produzieren?
Die entscheidende Frage ist die Deutungshoheit über das Wesen des Menschen. Ist der Mensch nur das Produkt materieller Vorgänge? Sehr spannend war die Entwicklung in der deutschen Hirnforschung. Namhafte Wissenschaftler versprachen im Manifest der Hirnforschung 2004, dass praktisch alle mentalen Phänomene bald auf physikalische Prozesse reduziert und somit wegerklärt werden können, dass also z. B. Gedankenlese-Geräte nur eine Frage der Zeit seien. Im Memorandum der Hirnforschung 2014 wurden die zentralen Postulate dann von einer anderen Gruppe namhafter Forscher kritisiert. Sogar säkulare Wissenschaftler argumentierten gegen einen neurologischen Reduktionismus, mentalePhänomene seien nicht identisch und auch nicht reduzierbar auf materielle Prozesse im Gehirn.
„Im christlichen Bereich gibt es zu dieser Thematik kaum Bildungsmaterialien, obwohl gerade in Schule und Studium viele Christen durch materialistische Religionskritik ihren Glauben verlieren. Wir spürten, dass sich da etwas ändern muss.“
Für wen ist der Film gemacht und was soll er leisten?
Der Film soll einerseits zeigen, dass die Hirnforschung erstaunliche Ergebnisse über die Funktionsweise unseres Gehirns herausgefunden hat. Gleichzeitig müssen diese Ergebnisse aber immer interpretiert werden. Und diese Interpretationen hängen entscheidend von Denkvoraussetzungen ab. Die Dokumentation zeigt auf, dass neurowissenschaftliche Methoden grundsätzliche Grenzen in ihrer Aussagekraft besitzen, besonders wenn es um Fragen des Bewusstseins, des Ich-Erlebens, des freien Willens, von Transzendenzerfahrungen oder der Gottesfrage geht. Dabei erlebt der Zuschauer nebenbei auch eine allgemeinverständliche Einführung in klassische Argumente aus der Philosophie des Geistes, die dem Verhältnis von Materie und Geist nachspürt.
Wie in unserem ersten Dokumentarfilm „Faszination Universum" lassen wir die Schlussfolgerungen am Ende relativ offen, um den Zuschauer zum eigenen Nachdenken anzuregen, ohne eine weltanschauliche Meinung überzustülpen.
Somit ist der Film sehr gut geeignet für den Schulunterricht der Oberstufe und offene Abende in Hochschulgruppen oder Gemeinden.