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Theologie
Text 28 Min.

Wenn Gott mein Gebet nicht erhört

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Gott erhört nicht jedes Gebet. Das ist vermutlich die Erfahrung aus der Lebenswelt aller Gläubigen. Manchmal sind es gerade die dringlichsten Gebete, die scheinbar ungehört verhallen.

Es tut sich nichts. Wir fühlen uns nicht beachtet. Wir geraten in eine Krise. Wir leiden unter dem Schweigen, fühlen uns nach dem „Amen“ wie ein Flieger, der in ein Luftloch fällt. Wir sind je nach Temperament unmutig, verständnislos, zornig, traurig, weinerlich, trotzig oder enttäuscht. Im schlimmsten Fall wirkt sich das fatal auf unsere Gottesbeziehung aus. Im Buch der Psalmen, dem Gebetsbuch Israels, findet sich ein Satz, der das wunderbar zusammenfasst:

„Wenn ich rufe zu dir, HERR, mein Fels, so schweige mir nicht, dass ich nicht, wenn du schweigst, gleich werde denen, die in die Grube fahren.“ (Ps 28,1)

Wenn Gott unser Gebet nicht erhört - was dann? Ich erinnere mich an die Wochen bangen Hoffens und Betens, nachdem meine Schwester einen schlimmen Unfall hatte, auf der Intensivstation lag und um ihr Leben kämpfte. Würde sie es schaffen? Sie war noch so jung. So viel Leben lag doch noch vor ihr. Wir beteten als Familie Tag und Nacht, Freunde und Verwandte ebenso. Die Gemeinde unterstützte uns in der Fürbitte. Aber obwohl so viele beteten, starb sie dann doch und Schmerz und Trauer legte sich wie eine bleierne Decke auf uns.

Jeder versucht auf seine Weise mit den Dramen des Lebens umzugehen, sei es dem Tod eines lieben Menschen oder einer chronische Krankheit, bohrenden Schmerzen, dem Verlust der Arbeitsstelle, dem Scheitern einer Beziehung, einer nicht bestandenen Prüfung, verlorenen Schlüsseln oder verhagelten Ferien. Im Hintergrund des Denkens lauert bei uns Frommen immer die Frage: Warum hat Gott das zugelassen? Wieso hat er nicht gehört?

Ich möchte hier ein paar Erklärungsmodelle beleuchten, die eine Antwort geben zur Frage der „Flops“. Ich habe mich gefragt: Was gibt die Bibel selbst her zu dieser Fragestellung? Wir sind ja nicht die ersten, die mit der Empirie im Glaubensleben nicht zurechtkommen.

Die erste Beobachtung: Wir Christen erzählen in der Regel nur von den erhörten Gebeten. Die anderen lassen wir schamhaft weg. Wir verschweigen sie meistens, weil sie nicht der Affirmation des Glaubens dienen. Wir können damit nicht punkten. Wenn alle das machen, entsteht naturgemäß ein schiefes Bild der Realität, möglicherweise auch ein schiefes Gottesbild. Wir führen zwar keine Statistik über das Verhältnis von „Tops“ und „Flops“, aber wir haben den Eindruck, dass mit den Flops etwas nicht stimmt, oder mit uns, oder mit Gott, oder mit seinen Zusagen. Dabei ist die Bibel ehrlicher als wir und voll von Klagen, Trauer und Zorn, weil die Realität mit dem Gewünschten so oft nicht übereinstimmt. „Wenn ich rufe zu dir, HERR, mein Fels, so schweige mir nicht, dass ich nicht, wenn du schweigst, gleich werde denen, die in die Grube fahren.“ Und der Hebräer konstatiert sogar, dass die großen Figuren des Alten Testaments zwar Gottes Zusage im Glauben empfangen haben, jedoch die Erfüllung der Verheißung nicht erlebten mit der Begründung, dass sie nicht ohne uns alle vollendet werden sollten. (11,39f)

Ein Vorwurf, den wir uns gelegentlich selber bei Flops machen, lautet: Wir haben zu wenig gebetet! Oder von lieben Mitchristen als Frage formuliert: „Habt ihr auch genug gebetet?“ Was bedeutet eigentlich „genug gebetet“? Reicht dreimal wie bei Paulus, der dreimal gegen seine Krankheit gebetet hat und dann die Antwort bekam, dass Gott ihn nicht erhören werde. Er solle sich bequemen, Schwachheit des Leibes als Segen zu interpretieren. Oder hätte man eine Gebetswoche ansetzen sollen und fasten, um ein anderes Ergebnis zu bekommen?

Ich glaube, die Bibel sagt nichts über die Frequenz des Gebets im Sinne einer Leistung, sondern nur, dass es ernsthaft sein sollte (Jak 5,16). Ich erwische mich manchmal, dass ich zwar Bitten habe, aber dass sie mir nicht so wichtig sind. Ich vergesse sie schnell wieder. Ich unterscheide also zwischen Themen, die mir unter den Nägeln brennen, wo ich Gott in den Ohren liege wie die Witwe dem ungerechten Richter (Lk 18,6), und mir-nicht-ganz-so-wichtigen Themen, die ziemlich schnell wieder im Hintergrund meines Bewusstseins versinken. Ich muss mich also fragen: Wie wichtig ist mir die Sache, für die ich bete, nicht aber: Wie häufig bin ich bei Gott vorstellig geworden? Er ist nicht schwerhörig.

Wie sieht es mit dem Glauben aus? Brauche ich großen Glauben für Gebetserhörungen? Auch das ist ein beliebter Vorwurf unter Christen, vermutlich um Gott von aller Schuld freizusprechen. Erlebe ich deshalb Flops, weil mein Glaube zu klein ist und dadurch die Naturgesetze nicht auszuhebeln vermag? Muss ich mir jede Heilung, jedes Wunder vorstellen können, muss ich es vorher visualisieren und dann „in Besitz nehmen“? Sagt Jesus nicht, dass schon senfkornkleiner Glaube genügt? Und rügt Jesus nicht vielmehr den Kleinglauben seiner Nachfolger, die sich nicht an ihn wenden, sondern angestrengt auf sich selber schauen? Es geht vielleicht weniger um die Vollmacht des eigenen Glaubens als um das Vertrauen, dass Gott sich der erbetenen Sache annehmen kann und dass dann alles irgendwie gut wird. Wenn mein Glaube die Machtdemonstration wäre, die die Gebetserhörung oder das Wunder zustande brächte, wofür braucht es dann noch Gott? Ich muss also weder Glauben produzieren oder ihn potenzieren, noch mich schämen, dass ich nur wenig davon zusammenkratzen kann. Wichtig ist, dass ich mich an die richtige Adresse wende.

Das bringt mich zu dem „Gebet im Namen Jesu“. Das Gebet im Namen Jesu hat eine besondere Verheißung. Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, auf dass, worum ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe.“ (Joh 15,16)

Unsere anglo-amerikanischen Freunde beten kein Gebet ohne Erinnerung an diese Versicherung. Werden deshalb mehr Gebete erhört? Ich habe mir das lange Zeit wie ein himmlisches Telegrafenamt vorgestellt, wo alle Gebete eingehen und dass die mit dem Zusatz „im Namen Jesu“ sofort durchgestellt und an allerhöchster Stelle gehört und beantwortet würden. Wenn ich allerdings den Kontext dieses Jesus-Wortes betrachte, scheint meine Vorstellung doch ein bisschen naiv gewesen zu sein. Dieses Gebet, von dem Jesus hier spricht, hat doch offenbar mit der Frucht zu tun zu, die man in der Nachfolge bringt, und Frucht in diesem Kontext ist Liebe für die Freunde. Es könnte also sein, dass Jesus hier der selbstlosen Bitte für die Freunde, für ihr Heil und ihr Wohl, eine besondere Verheißung gibt, weil das genau der Kern seiner Sendung ist und seinen Willen und sein Ziel für uns beschreibt: die Liebe, die sich für die anderen hingibt, wie er das getan hat; Liebe, die für sie bittet, wie er das für uns getan hat; Liebe aus einem barmherzigen und brennenden Herzen. Wie oft sind meine Motive nicht wirklich deckungsgleich mit denen meines Herrn?

Manchmal trösten wir uns mit dem Wort, wenn eine Bitte nicht erhört worden ist, dass der Vater schon wisse, warum es jetzt so gekommen sei und nicht so, wie wir gebetet haben. Oder wir sagen mit frommer Entsagung: „Der Vater weiß besser, was gut für mich ist.“ Dahinter steckt schon eine Menge Verarbeitung und die Annahme, dass Gott einen geheimen Plan hat, den er zu meinem Besten ausführt. Ich hingegen habe nicht erkannt, was in dieser Situation gut für mich ist, deshalb stecke ich noch in meinen turbulenten Emotionen, meinem Kummer oder meinem Unverständnis fest. Aber ich will vertrauen, dass Gott weiß, was er tut. Tatsächlich redet die Bibel von einem Plan Gottes, allerdings ist der immer überraschend, lichtvoll und gut. So weiß der Prophet Jesaja, dass Gottes Gedanken nicht unsere Gedanken und seine Wege nicht unsere Wege sind, sondern dass sein Plan so viel besser und vollkommener ist als man sich das in den kühnsten Träumen ausmalen könnte. (Jes 55,8f) Auch in der Bergpredigt sagt Jesus Christus: „…euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.“ (Mt 6,8) Da geht es um so normale Dinge wie Essen und Trinken, Kleidung und wahrscheinlich auch Wohnraum. Jesus meint, der Vater weiß das alles schon, bevor wir bitten. Er ist rundherum informiert. Wir sollten nicht so ein Gewese darum machen. Eigentlich bräuchten wir gar nicht bitten, sondern sollten uns besser auf das Reich Gottes fokussieren. Da passieren die eigentlichen Wunder und Gebetserhörungen.

Das bringt uns zu dem wirklich schwierigen und tiefgründigen Befund, dass Gott uns nicht immer den Weg ebnet. Offenbar lebt die im Kern heidnische Überzeugung tief in uns, dass es mit dem richtigen Glauben doch alles besser gehen müsste. Dabei hat Jesus kein Hehl daraus gemacht, dass zur Nachfolge Leiden gehören wird, möglicherweise auch Verfolgung, dass bestandenes Leiden sogar der Ritterschlag sein könnte. Paulus schreibt den Philippern: „Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleich gestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.“ (3,10f) Es könnte also sein, dass das nicht erhörte Gebet eine Anfechtung darstellt, der ich mit Geduld und Glauben begegnen muss, damit ich den Kampf bestehe und das Verheißene erringe.

Wir belauschen Jesus, wie er mit dem Vater verhandelt, ob sein Lebensweg nicht anders enden könnte als im Leiden, ob er nicht vielleicht unversehrt bleiben dürfte, aber der Vater schweigt und Jesus weiß, er soll einwilligen in den Willen Gottes. (Mt 26,39) Diese Bereitschaft, das Leiden zu umarmen und den Tod am Kreuz zu erdulden, hat uns das ewige Heil geschenkt. Muss es dann wirklich als Fehler in der göttlichen Ökonomie erscheinen, wenn wir „die Gemeinschaft seiner Leiden“ teilen?

Ich bin einmal als junger Pastor mit meiner Jugendgruppe im Krankenhaus gewesen, um für Patienten zu beten und Lieder zu singen, um sie ein bisschen aufzuheitern. Eine von ihnen war Tante Mary aus der Gemeinde, eine alte, feine Dame aus Jugoslawin. Sie war wegen unsäglicher Nervenschmerzen eingeliefert worden. Als ich die Tür zu ihrem Zimmer öffnete, erwartete ich ein Häufchen Elend, aber es kam uns statt dessen eine Welle der Freude entgegen. Sie sagte: „Jesus hat mich gewürdigt, an seinem Leiden teilzuhaben, wenigstens ein bisschen. Ich bin so glücklich.“ Es gibt Momente im Leben, die man nie vergisst. Das war so einer für mich.

Warum werden manche Gebete nicht erhört? Könnte es sein, dass ich etwas von Gott verlange, was ich selbst nicht tun will? Ich sollte einmal für eine alte Dame beten, die kaum noch etwas sehen konnte. Sie hatte grauen Star, war fast blind. Im kurzen Gespräch vor dem Gebet stellte sich heraus, dass sie nicht zum Arzt gehen wollte, weil Jesus sie heilen sollte, und zwar er allein. Kein Arzt! Schließlich sei ER doch unser Arzt! Sie war da sehr festgelegt und hat eigensinnig darauf beharrt. Sie ist natürlich trotz Gebet nicht gesund geworden, denn Gott scheint keinen Gefallen daran zu finden, wenn wir das, was wir beisteuern könnten, nicht tun und ihm die Last und Verantwortung aufbürden, die wir mindestens zum Teil selber tragen sollten. Es geht also um die Selbstbeteiligung an der Gebetserhörung. Wenn ich um Frieden in der Gemeinde bete, bin ich dann auch bereit, selber aktiv Frieden zu machen? Wenn ich um Erweckung bete, bin ich bereit, meinen Glauben mit anderen zu teilen? Wenn ich um einen gläubigen Ehepartner/in bete, bin ich bereit, Schritte zu unternehmen, um neue Leute kennenzulernen? Gott arbeitet mit uns Hand in Hand. Jesus sagt zu dem Blinden: „Geh zum Teich Siloah und wasche dich!“ Erst danach konnte er sehen. Und zu Petrus: „Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!“ Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. (Lk 5,4)

Ich streife die Erklärungsmöglichkeit nur am Rande, dass die Unterscheidung zwischen Erhörung und Nichterhörung manchmal erst im Nachhinein zu treffen ist, und zwar wenn genügend Zeit verstrichen ist. Zum Gebet gehört auch Geduld, und Geduld ist bei den meisten von uns nicht die stärkste Seite des Charakters. Dabei gehört Geduld doch zu der Frucht des Geistes. Sie entsteht durch Übung, durch Warten, durch Erfahrung. Schließlich heißt es in 1. Kor 10,13: „Gott ist treu, der euch nicht versuchen lässt über eure Kraft, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende nimmt, dass ihr's ertragen könnt.“ Der Faktor Zeit ist möglicherweise die große Unbekannte zwischen Gebet und Erhörung.

Gebet ist auch keine Einbahnstraße, wo ich meine Anliegen Gott nenne, mich dann verabschiede und meinen Alltag fern von ihm bestreite. Es sollte eigentlich ein Gespräch sein, das ich mit dem Vater im Himmel führe, in dem ich ihm etwas sage und dann zuhöre, was mein großes Gegenüber sagt. Bisweilen ändert sich dadurch meine Meinung. Ich gewinn eine neue Einsicht. Eine Bibelstelle springt mich an. Oder meine Frau hat einen Eindruck, der mir eine neue Perspektive zeigt. Gott redet auf mancherlei Weise. Heute wird das gerne „hörendes Gebet“ genannt. Dazu ist keine besondere prophetische Begabung nötig, sondern es hat mit Übung zu tun und mit Geduld.

Ein Erklärungsmodell für „Flops“ hat der Alttestamentler Gerhard von Rad die „Krise der Weisheit“ genannt hat. Wir können diese Krise in den Texten des Alten Testaments analysieren. Zuerst war da die Gewissheit, dass Gott das Gebet des Gerechten erhört und ihn rettet. Das hatte man geglaubt empirisch nachweisen zu können. Abraham wurde dafür als Beispiel angeführt, ebenso Isaak und Jakob. Auch Mose und die Propheten. Sonnenklar war auch, dass Gott die Bösen straft. Ganz sicher! Psalm 1 könnte man als Beleg für dieses Erfahrungsweisheit anführen.

„Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen / noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des HERRN und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht! Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen! - Aber so sind die Gottlosen nicht, sondern wie Spreu, die der Wind verstreut.“

Plötzlich gibt es aber Situationen und Erfahrungen, wo diese felsenfeste Gewissheit zu wackeln beginnt. Psalm 73 ist ein Beispiel:

„Ich aber wäre fast gestrauchelt mit meinen Füßen; mein Tritt wäre beinahe geglitten. Denn ich ereiferte mich über die Ruhmredigen, da ich sah, dass es den Frevlern so gut ging. Denn für sie gibt es keine Qualen, gesund … ist ihr Leib. Sie sind nicht in Mühsal wie sonst die Leute und werden nicht wie andere Menschen geplagt. Darum prangen sie in Hoffart und hüllen sich in Frevel. Die sind glücklich für immer und werden reich … Soll es denn umsonst sein, dass ich mein Herz rein hielt und meine Hände in Unschuld wasche? Ich bin täglich geplagt, und meine Züchtigung ist alle Morgen da.“

Diese neue, grundstürzende Erfahrung wird breit aufgespannt in dem Epos vom leidenden Gerechten im Buch Hiob, der sich mit Gott streitet, weil die alte Weisheit nicht mehr zu gelten scheint, dass Gott den Gerechten mit Gesundheit, Reichtum und Wohlgefallen belohnt. Die Welt ist aus dem Lot. Die Grundfesten des Glaubens wackeln. Es ist ein langer Weg; Generationen von Betern rätseln, bis die Erkenntnis sich Bahn bricht, dass das Heil, das der Glaubende erhofft, erst am Ende kommt, vielleicht nicht einmal in diesem Leben, sondern dass das Leben in Fülle, ohne Schmerz, Tränen und Geschrei erst im Himmel verwirklicht werden wird. Krankheit hat also nicht das letzte Wort. Leid hat nicht das letzte Wort. Ungerechtigkeit hat nicht das letzte Wort. Tod hat nicht das letzte Wort, sondern Gott im Himmel. Wir sehen das nicht immer in der Empirie, aber an Jesus Christus und an seinem Weg in das Leiden hinein, durch den Tod hindurch zu neuem Leben in Ewigkeit. Deshalb muss unsere Hoffnung in allen Lebenslagen die Flügel weit aufspannen und das Ende in den Blick nehmen. Wir müssen auf Jesus sehen, den Anfänger und Vollender des Glaubens (Hebr 12,2).

Es sind die biblischen Vorbilder, die mich immer wieder zum Beten inspirieren trotz Enttäuschungen.

Da ist z.B. Jakob. Er ringt mit einer Anfechtung, die für ihn so übermächtig ist, dass sie ihn fast umbringt. Er kämpft und lässt sich nicht unterkriegen. Als er merkt, dass ihm die Kräfte ausgehen, bittet er nicht um Sieg, sondern schlicht um Segen. (Gen 32)

Mose betet in der Schlacht gegen die Amalekiter (Ex 17). Die damalige Sitte des Gebets mit erhobenen Armen zeigt, wie schnell man im Beten erlahmen kann und den Kampf aufgibt. Mose sucht sich Hilfe und lässt sich von Aaron und Hur stützen. Das Gebet mit Unterstützern kann uns die Last erleichtern.

Hiob betet: „Gott, lass mich sterben! Ich habe genug.“ Sein Gebet wird nicht erhört, sondern Gott offenbart sich ihm geheimnisvoll und leitet eine neue Runde der Reflexion ein. Am Ende ist Hiob schlauer und sicher auch getröstet.

Jona wird möglicherweise zu Unrecht an den Pranger gestellt. Er könnte in manchen Punkten uns repräsentieren und zwar immer dann, wenn wir nicht mit Gottes Plänen einverstanden sind. Jona nimmt sich die Freiheit heraus, mit Gott zu streiten und bekommt eine erstaunlich sanftmütige Antwort und eine starke Begründung für Gottes alternative Wegführung.

Nehemia ist als Beter bemerkenswert. Nach den Zeitangaben am Anfang des Buches kann man davon ausgehen, dass er 40 Tage lang gebetet hat. In dieser Zeit scheint sein Gebet, am Anfang voll Verzweiflung und Trauer, sich mehrfach verpuppt zu haben und schließlich als fertiger Plan auszuschlüpfen, den er dem Großkönig präsentiert – und alle Genehmigungen erhält, die er zum Aufbau der Jerusalemer Stadtmauer braucht.

Das Gebetsleben des Paulus wäre vermutlich ein gutes Thema für eine Doktorarbeit. Seiner eigenen Aussage nach betet er viel und ständig für die Gemeinden, aber die Probleme scheinen nicht ab-, sondern eher zuzunehmen (vgl. z.B. 2. Tim 4). Trotzdem zeigt er keine Spuren der Entmutigung. Bezüglich seines eigenen Leidens betet er und muss bleibende Schwachheit als göttliche Antwort akzeptieren. Er tut das und predigt mit Begeisterung Jesus als den starken Retter.

Abraham ist, was unerhörte Gebete angeht, meine Lieblingsfigur. Er betet um die Stadt Sodom, die voller Bösewichte ist. Er feilscht mit Gott wie ein Kameltreiber, erreicht am Ende nichts, außer dass sein Neffe der Katastrophe entkommt, und ist, weil er so beharrlich glaubt und interveniert, ein Freund Gottes. (Gen 18)

Und natürlich ist da Jesus Christus; von ihm lerne ich, beständig zu beten, sozusagen eine Standleitung zum Herzen Gottes zu haben und mein Herz zu stillen, wenn Gott andere Gedanken hat als ich.

Es gibt eine Voraussetzung für unerhörte Gebete: Man muss sie gebetet haben, um sagen zu können: Gott hört nicht auf mich! Manche Gebetserhörungen sehen wir vielleicht nicht, weil wir von vornherein annehmen, dass Gott sich nicht darum kümmern wird; für manche sind wir zu ungeduldig und warten nicht ab.

Paulus schreibt an Timotheus:

„So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“

Also: Mut, auch wenn sich das Ergebnis nicht mit dem deckt, was ich erwartet habe! Gott hat Heil im Sinn, immer. Am Ende ist die Barmherzigkeit Gottes das A und O, wie der Psalmist betet (13,6)

“Ich traue aber darauf, dass du so gnädig bist; mein Herz freut sich, dass du so gerne hilfst. Ich will dem HERRN singen, dass er so wohl an mir tut.” Am Ende wischt Gott alle Tränen ab (Off 21,4).

Seit meinem sechsten Lebensjahr trage ich eine Brille. Nach vielen Jahren der Gewöhnung gehört sie einfach zu meinem Leben und zur Leiblichkeit dazu. Man denkt nicht darüber nach. Wie erstaunt war ich, als die Empfangschefin einer christlichen Fernsehstation in Kanada, bei der ich einen Termin hatte, zum Schluss für meine Augen betete, dass doch die Brille bitte der Vergangenheit angehören möge, weil Gott mächtig und liebevoll sei und ein kleines Wunder tun könnte. Nun, Gott hat nicht an der Sehschärfe gedreht. Ich trage meine Brille heute noch. Aber ihr Glaube und ihre Liebe haben mich beflügelt, mit Herzblut für andere zu beten, die es nötiger haben als ich, egal wie das Ergebnis auch aussehen mag.

Literaturempfehlungen:

• Esther Maria Magnis. Gott braucht dich nicht. Eine Bekehrung. Rowohlt, 2012

• Christine Eichel. Warum ich wieder bete. Das Ende des Zynismus. Gütersloher Verlagshaus, 2009

• Ulrich Eggers. Ehrlich glauben. Warum Christen so leicht lügen. Edition Aufatmen. SCM Brockhaus im SCM Verlag, 2014

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