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Geschichte
Text 12 Min.

Ist Jesus eine mythologische Raubkopie?

Manchmal wird behauptet, die Jesusgeschichte sei nur eine Raubkopie anderer antiker Mythen (z. B. von Osiris, Horus, Mithras, Attis oder Adonis). Dazu von mir als Althistoriker vorweg zwei grundsätzliche Überlegungen, ehe ich dann kurz konkrete Beispiele bespreche.

Auszug aus dem Buch: "Frag los":


Erstens: Wo finden sich die angenommenen Parallelen? Im NT selbst oder in der Auslegung, Kommunikation sowie bildlichen Darstellung dieser grundlegenden Texte durch die Kirche der ersten Jahrhunderte? Im zweiten Fall wären zwar unter Umständen bestimmte christliche Traditionen zu hinter- fragen, aber nicht zwingend die Grundlagen des christlichen Glaubens.

Ein sehr bekanntes Beispiel unter vielen: Die meisten Christen feiern die Geburt Jesu am 24./25. Dezember. Oft wird nun die These vertreten, dass die Christen den Geburtstag Jesu, des „wahren Lichts“ (vgl. Joh 8,12), wohl im frühen vierten Jahr- hundert bewusst auf den 25. Dezember, den Geburtstag des Sonnengottes Sol Invictus, verlegt haben, um der Popularität des heidnischen Festes etwas entgegenzusetzen. Auch wenn das stimmen sollte,[71] die Berichte über Jesus in den Evangelien sind davon nicht betroffen. Denn dort wird schlicht kein Geburtsdatum genannt. Dass Weihnachten in vielen Kirchen am 24./25. Dezember (und in anderen am 6. Januar) gefeiert wird, ist eine Tradition, mit der nichts Entscheidendes steht oder fällt.

In solchen Fällen handelt es sich meist um Versuche der frühen Kirche – ob gelungen oder problematisch, darüber kann man streiten –, durch bewusste Übernahmen eigene Glaubensinhalte in einer werbenden, kulturell sensiblen Weise verständlich zu kommunizieren. Hier: Christus ist das wahre Licht, die wahre Sonne, nicht Sol Invictus.

Zweitens: Wir finden durchaus Parallelen, die sich zumeist auf den gemeinsamen geografischen, kultur- und religions- geschichtlichen Hintergrund des Christentums und mancher Kulte zurückführen lassen. Kultische Mahlzeiten oder Wasserriten, bestimmte Motive wie die Licht-und-Dunkel-Metaphorik und zentrale Fragen menschlicher Existenz wie Geburt, Tod, Erlösung sind in den verschiedensten Kulten des östlichen Mittelmeerraums anzutreffen, ohne dass diese direkt voneinander abgeschrieben hätten.[72] Das gilt auch für Juden- und Christentum, die beide aus diesem Kulturkreis stammen.

Nun zu konkreten Beispielen: In manchen populärwissenschaftlichen Publikationen wird eine direkte Abhängigkeit des sogenannten „Jesus-Mythos“ von den Mythen des Horus, Mithras und anderer Götter und Heroen behauptet. Ein Hauptanknüpfungspunkt ist oft, dass der Tod und eine Art „Auferstehung“ der Kultfigur[73] berichtet wird. In diesen Fällen handelt es sich allerdings meist 1) um zyklische Vorstellungen – Tod und Auferstehung ereignen sich immer wieder, meist im Jahrestakt, die 2) oft mit Fruchtbarkeitsvorstellungen verknüpft sind und 3) über lange Zeiträume (Jahrhunderte!) in massiv verschiedenen und widersprüchlichen Versionen[74] überliefert wurden.

Ganz anders im NT: 1) Tod und Auferstehung Christi, so wird betont, sind ein für alle Mal geschehen, 2) es gibt keine Verbindung mit zyklischen, gar auf Fruchtbarkeit bezogene Vorstellungen, und 3) die Jesusüberlieferungen sind in Texte eingebettet, die bereits 20–30 Jahre nach dem Geschehen (erst die Paulusbriefe, dann die Evangelien) abgefasst wurden und einen eindeutigen historischen Bezugspunkt haben. Allein durch die literarische und historische Gestalt der Quellen können wir feststellen (siehe Einwand 19–21): Die Jesusgeschichte ist nicht als Mythos zu bezeichnen.

Mitunter finden sich auch krude Gegenüberstellungen, wie etwa im Film Zeitgeist[75]: Jesus, Horus, Mithras und andere sei- en alle am 25. Dezember von einer Jungfrau geboren worden, seien von drei „Königen“ angebetet, seien getauft worden, hätten zwölf „Jünger“ gehabt, seien gekreuzigt und für drei Tage beerdigt worden und seien dann auferstanden.

Dagegen ist zu sagen: Anders als im Fall der Jesusüberlieferung gibt es für die genannten mythischen Figuren entweder keine geschlossenen literarischen Darstellungen ihres Wirkens, sondern nur versprengte Hinweise und bildliche Darstellungen (z. B. des römischen Mithras), oder im Verlauf der Jahrhunderte zahllose, sich massiv unterscheidende Geschichten, die gar nicht für einen solchen Vergleich auf einen Nenner gebracht werden können. Außerdem sind die meisten genannten Details schlicht falsch! Zwei Beispiele:

Mithras wird aus einem Felsen geboren, nicht von einer Jungfrau, weder drei Könige noch eine Taufe noch zwölf Jünger sind bekannt. Er stirbt nicht und kann daher auch nicht auferstehen, sondern wird am Ende im Wagen des Sonnengottes in den Himmel erhoben. Seine zentrale, kultisch gefeierte Tat ist die Tötung eines Bullen, kein Kreuzestod. Außerdem entstand dieser Kult in seiner für den Vergleich mit dem Christentum wichtigen römischen Form erst gegen Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr., zu einer Zeit, als die Hauptschriften des NTs mit allen grundlegenden Lehren bereits verfasst waren.[76]

Im Falle des Horus und seiner Eltern Isis (Mutter) und Osiris (Vater) gibt es so viele verschiedene und sich im Laufe der Jahrhunderte wandelnde Geschichten, dass man nur schwer einen Erzählstrang zum Vergleich herausziehen kann. In altägyptischen Erzählungen[77] wird Osiris von seinem Bruder Seth getötet, Isis sucht ihn und kann ihn kurzzeitig und nur teilweise wiederbeleben, um mit ihm den Horus zu zeugen (keine Jungfrauengeburt!). Osiris selbst verbleibt im Tod und wird zum Herrn des Totenreiches (keine Auferstehung!). Es gibt keine drei Könige, keine zwölf Jünger, keine Taufe, auch keine Kreuzigung oder Auferstehung nach drei Tagen. In griechisch-römischer Zeit werden diese Erzählungen mit den griechischen Mythen um Aphrodite und um ihren Geliebten Adonis sowie Demeter und ihrer Tochter Persephone in immer neuer und unterschiedlicher Weise zu einer „neue[n] Religion“[78] verwoben.[79] Eine geschlossene Erzählung für den Isis- Osiris-Horus-Mythos wird erst von Plutarch (De Iside et Osiride) um 120 n. Chr. geschaffen. Aber selbst in diesen vielfältigen Neu- und Umformulierungen des Mythos finden sich die vorgeblichen Parallelen zum Leben Jesu, wie es im NT geschildert wird, nicht![80]

Es bleibt festzuhalten: Die Jesusgeschichte ist weder inhaltlich noch formal ein Mythos, der sich aus den Mythen um Horus, Mithras und Co ableiten ließe! Die angeblich bis ins Detail stimmigen Parallelen haben mit den antiken Quellen nichts zu tun![81]


[71] Vgl. C. P. E. Nothaft (2012): The Origins of the Christmas Date. S. 903 ff.

[72] Vgl. z. B. M. Clauss (2012): Mithras. Kult und Mysterium. S. 160; H.-J. Klauck (1995): Die religiöse Umwelt des Urchristentums. Bd. 1. S. 126 ff.

[73] Vgl. H.-J. Klauck (1995): Umwelt, S. 106–126, zu den Kulten des Attis, der Isis (mit Osiris u. Horus) und des Mithras. Zu Osiris, Adonis u. Attis vgl. R. Merkelbach (22001): Isis regina – Zeus Sarapis. S. 9–15 u. 37–55.

[74] Was R. Merkelbach (22001) für Isis und Osiris festhält, hat auch für andere Kultmythen Gültigkeit: „Alle diese Mythen waren nie als Berichte über historische Ereignisse gedacht, sondern als erzählende Interpretationen des Lebens in Ägypten. Die Wirklichkeit hatte verschiedene Aspekte, und so konnte man die Mythen erzählen, je nachdem, welcher Aspekt erläutert werden sollte“ (Isis regina, S. 5 f.).

[75] https://youtu.be/mij4bhfx_Tg (Zugriff: 07.09.2020).

[76] Vgl. H.-J. Klauck (1995): Umwelt, S. 119–126; ausführlich z. B. M. Clauss (2012): Mithras.

[77] Vgl. ausführlich R. Merkelbach (22001): Isis regina, S. 3–22.

[78] R. Merkelbach (22001): Isis regina, S. 5.

[79] Vgl. ebd., S. 37–55.

[80] Plutarch lässt den jungen Horus/Harpokrates (als Sonnengott) am 24./25.12., dem alexandrinischen Fest der Kikellia, geboren sein (De Iside 65). Aber: 1.) Es wurde auch am 06.01. die Geburt eines Horus gefeiert, des Aion-Horus (Gott der Ewigkeit) von Kore-Isis. 2.) Der 24./25.12. als Geburtstag Jesu ist gerade kein biblisches Datum, sondern christliche Traditionsbildung aus dem späten 3./frühen 4. Jh.

[81] Aus einer anderen Richtung kommend und mit anderen Beispielen versehen, vgl. M. Licona (2017): Did Early Christians Borrow from Pagan Myths?: https://youtu.be/CfV_tc32diM (Zugriff: 07.09.2020).

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