Nachhaltiger Genuss aus christlich-ethischer Perspektive
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Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das Feuer benutzen und kochen kann. Er verfügt damit über die Fähigkeit und ist auch darauf angewiesen, sich seine Nahrung zuzubereiten. Ernährungsgewohnheiten und Tischsitten haben sich über die Jahrhunderte verändert, doch es gibt Konstanten: In Europa ist Brot seit jeher das Grundnahrungsmittel überhaupt, erst in der Neuzeit kamen Kartoffeln und Reis dazu. Der Fleischkonsum schwankte: Der Braten kam nur in höheren Kreisen (häufiger) auf den Tisch, während das ärmere Volk eher Suppe mit Stücken von weniger wertvollem Fleisch verzehrte. Bei wachsenden Bevölkerungszahlen wurde Fleisch ab dem 17. Jh. teurer und für die Mehrheit unerschwinglich. Frisches Fleisch gab es ohnehin nur in der Schlachtzeit vor Winterbeginn, ansonsten nur in geräucherter, getrockneter oder gepökelter Form.
Die Mahlzeit galt von jeher als Zeit der Gemeinschaft. Das Essen war – und ist eine gute Gelegenheit, Geselligkeit und Gastfreundschaft zu (er-)leben.
Bis ins 19. Jh. hinein orientierte sich die tägliche Speisekarte am Rhythmus zweier Jahreskreise: Der eine war das Kalenderjahr. Gegessen wurde, was sich auf dem Markt oder im Garten fand, also die saisonal und regional typischen Lebensmittel. Kälteperioden, schlechte Ernten und oder Kriege wirkten sich dabei unmittelbar aus. Von der wohlhabenden Oberschicht abgesehen bedeutete das Leben für die meisten Menschen (z. T. harte) körperliche Arbeit bei (nicht immer) ausreichender, zudem wenig abwechslungsreicher Nahrung. Die Zubereitung des Essens bedeutete weitere Arbeit, die zumeist von Frauen geleistet wurde. Die soziale Schichtung war deutlich an dem ablesbar, was auf den Tisch kam.
Der andere Rhythmus war durch das Kirchenjahr und die damit verbundenen öffentlichen Fastenzeiten vorgegeben: Insbesondere während der vierzig Tage vor Ostern sowie in der Adventszeit wurde gefastet, womit in der Regel der Verzicht auf Fleisch gemeint war. Zur Auflösung der Fastengebote trug nicht nur die Reformation bei, vielfach wurden die Fastenzeiten – auch in katholischen Gebieten – schlicht nicht eingehalten.
Die christliche Tradition hat mit zwei – gegenläufigen – Impulsen auf die westliche Kultur des Essens eingewirkt. Der eine Impuls, der v. a. Von Klostergemeinschaften ausging, liegt in der Betonung des Maßhaltens beim Essen (wogegen Völlerei als Laster galt). So formuliert die von vielen Orden übernommene Benedikt-Regel aus dem 6. Jh. folgende Weisungen:
1. Es genügen außerhalb der Fastenzeiten – zwei Mahlzeiten pro Tag: eine um die Mittags-, die andere um die Abendstunde.
2. Die Hauptmahlzeit soll zwei gekochte Speisen, also die Möglichkeit der Auswahl, enthalten.
3. Die Zuteilung des Essens erfolgt unter Berücksichtigung der zu leistenden körperlichen Arbeit.
4. Rotes Fleisch (Fleisch von vierfüßigen Tieren) ist zu vermeiden bzw. nur im Krankheitsfall vorgesehen.
5. Für einen Gast soll der Abt gegebenenfalls sein Fasten brechen und mit ihm speisen.
Diese Bestimmungen sind bemerkenswert: Heutige Studien bestätigen gesundheitsfördernde Effekte sowohl für den Verzicht auf rotes Fleisch als auch für das „Morgenfasten“ (also die zeitliche Konzentration der Nahrungsaufnahme auf die ca. acht Stunden von Mittag- bis Abendessen).
Auffallend ist zudem der hohe Wert, der der Gastfreundschaft zukommt. In Übereinstimmung mit einem Wort Jesu aß auch der sich vegetarisch ernährende Franziskus auf seinen Reisen, was ein Gastgeber ihm vorsetzte, auch wenn das Angebotene seinen eigenen Präferenzen widersprach.
Der andere Impuls der christlichen Tradition setzt einen gegenläufigen Akzent. Hier verband sich die Ablehnung des Vegetarismus mit der Verurteilung häretischer Gruppen. Wir finden diese Verknüpfung u. a. Bei Augustinus (354-430), der nach seiner Bekehrung den von ihm früher selbst vertretenen Dualismus (der Manichäer) bekämpfte. Die dualistische Abwertung des Leibes gegenüber dem Geist schloss bei vielen häretischen Gruppen die Ablehnung jeglichen Fleischgenusses ein. Ein Beispiel aus dem Mittelalter sind die Katharer, die einen asketischen, und das hieß auch: vegetarischen Lebenswandel pflegten. Der Inquisition diente konsequenter Vegetarismus dann auch als ein Indiz dafür, einer Irrlehre zu folgen.
So konnte der Fleischgenuss – bei gleichzeitiger Beachtung der Fastenzeiten – quasi zum Ausweis von Rechtgläubigkeit werden. Die Reformatoren schließlich sahen in den zahlreichen Fastenvorschriften der katholischen Kirche den Ausdruck einer Werkgerechtigkeit, die der Lehre von der Rechtfertigung durch Glauben entgegenstand; Huldrich Zwingli leitete die Zürcher Reformation dann auch mit der Missachtung der Fastenzeit ein.
Gerade unter evangelischen Christen dürfte dieser zweite Impuls die größere Breitenwirkung entfaltet haben. Der Verzehr von Fleisch aller Art gilt weithin als unbedenklich, auch wenn seit dem 19.Jh. christlich-vegetarische Strömungen an Zulauf gewonnen haben. Das macht Freude auf den nächsten Gang.
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