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Ethik
Text 10 Min.

Kostenübernahme für nicht-invasive pränatale Bluttests (NIPD) als GKV-Leistung

Tags
  • Trisomie 21
  • NIPD
  • Screeing
  • Down-Syndrom

Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner (ACM) zur Debatte über die „Kostenübernahme für nicht-invasive pränatale Bluttests (NIPD) als GKV-Leistung“

Zusammenfassung:

• Die ACM setzt sich für eine Kultur des Lebens ein, in der jeder Mensch wertgeschätzt wird.

• Es ist zu erwarten, dass die großzügige Einführung der NIPD zu einer zunehmenden Selektion aufgrund einer Behinderung (hier Trisomie 13, 18, 21) führt.

• Die ACM lehnt daher eine Einführung der NIPD als GKV-Leistung ab, insbesondere, wenn sie als primäres Screeningverfahren eingesetzt werden sollen.


_Position der ACM

Unter Abwägung der unterschiedlichen Argumente lehnt die ACM eine Einführung der NIPD als GKV-Leistung ab, insbesondere, wenn sie als primäres Screeningverfahren eingesetzt werden.

_Begründung

NIPD zeichnen sich im Gegensatz zum bisher durchgeführten Ersttrimester-Screening von Risikoschwangerschaften durch ihre Einfachheit und das Fehlen von (unmittelbaren) Nebenwirkungen für die Schwangere sowie das ungeborene Kind aus. Zudem liefern sie zumindest für die Trisomie 21 praktisch keine falsch-negativen Ergebnisse (hoher negativer prädiktiver Wert). So können invasive und für die Schwangere und das ungeborene Kind potentiell gefährliche Untersuchungen wie Plazenta- und Fruchtwasserpunktion vermieden werden. Andererseits ist bei Einführung der Tests als GKV-Regelleistung damit zu rechnen, dass es aufgrund ihrer einfachen Durchführbarkeit zu einer flächendeckenden Inanspruchnahme im Sinne einer Screeninguntersuchung kommt. Diese wiederum könnte eine Zunahme der Gesamtzahl invasiver Untersuchungen im Vergleich zum Status quo zur Folge haben.

Eine Einführung der NIPD als GKV-Leistung unter dem Aspekt der „sozialen Gerechtigkeit“ ist allerdings besonders unter den aktuellen Beratungsbedingungen von ethischer Brisanz. Dies wird in einer Vielzahl von Publikationen und Stellungnahmen sowohl von Befürwortern als auch Gegnern einer solchen Einführung zum Ausdruck gebracht.

Die Erfassung der genetischen Befunde, am häufigsten der Trisomie 21, durch die NIPD und der Bestätigung im zweiten Schritt ist für das betroffene Kind prinzipiell von keinerlei medizinischem Nutzen. Sie dient nicht dazu, die speziellen Bedürfnisse dieses Kindes zu beachten, sondern führt in über 90% der Fälle zu einer Beendigung der Schwangerschaft durch Abtreibung. Die chromosomale Anomalie wird also praktisch a priori als negativ und nicht wünschenswert eingestuft.

Diese gesellschaftliche Wahrnehmung steht somit in direktem Widerspruch zu der seit 2009 in Deutschland geltenden UN-Behindertenrechtskonvention. Die darin zu Recht geforderte Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung wird mit einer unkritischen Einführung von NIPD als GKV-Leistung ad absurdum geführt. Die Rechte gelten dann letztlich nur für die, die den Selektionsprozess – bis zur Geburt – überstanden haben. Zugleich führt die Möglichkeit zur unkomplizierten Selektion für die Schwangeren zu einem unausgesprochenen gesellschaftlichen Druck.

In der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 02.04.2019 über die Haftung wegen Lebenserhaltung durch künstliche Ernährung (Aktenzeichen VI ZR 13/18) begründet der Bundesgerichtshof die Abweisung der Klage damit, dass keinem Dritten ein Werturteil über menschliches Leben zustehe. Es verbiete sich, auch leidensbehaftetes Leben als Schaden anzusehen. Der BGH bekräftigt, dass alle staatliche Gewalt einschließlich der Rechtsprechung kein Urteil über den Lebenswert eines betroffenen Patienten treffen dürfe. Bei einer Einführung von NIPD als Kassenleistung wird somit für den Gesetzgeber ein Dilemma geschaffen: einerseits darf er als staatliche Gewalt kein Urteil über Wertigkeit sprechen, andererseits fördert er durch die gesetzlich vorgegebene Kostenübernahme eine gesellschaftliche Bewertung des heranwachsenden Lebens mit allen Konsequenzen.

Menschen mit Trisomie 21 tragen zur Vielfalt unserer Gesellschaft bei. Je nach Komorbidität liegt die Lebenserwartung derzeit zwischen 50 und 60 Jahren. Bei aller Belastung oder Einschränkung empfinden viele von ihnen ihre Lebensqualität subjektiv als sehr hoch. 79% der Eltern von Kindern mit Down-Syndrom berichten, hierdurch eine positivere Lebenseinstellung gewonnen zu haben, und mehr als 90% der Geschwister äußern, sie hätten sich infolge ihres Geschwisters mit Down-Syndrom positiv verändert.

Die Möglichkeit der NIPD hält unserer Gesellschaft den Spiegel vor. Im Zuge des Reformprozesses des § 218 StGB wurde das Lebensrecht und der Lebenswille behinderter Menschen der erwarteten Belastung der Schwangeren untergeordnet. Angesichts der NIPD müssen wir uns die Frage stellen, wie weit wir dem subjektiven Wunsch nach Perfektion und scheinbarer Normativität nachgeben wollen und ob dieser über dem Schutz menschlichen Lebens stehen darf. Das bioethische Komitee der UNESCO hat in einer Stellungnahme zum menschlichen Genom und Menschrechten die Problematik NIPD trefflich formuliert: „…(NIPD) könnte eine Kultur des Perfektionismus und der ‚zero defects‘ fördern oder gar einen Trend zur Eugenik schaffen. Dies hätte zur Folge, dass es zunehmend schwieriger würde, Unvollständigkeit und Behinderung als Teil normalen menschlichen Lebens und Komponente der Vielfalt anzusehen.“

_Empfehlung

Wir empfehlen aus obengenannten ethischen Bedenken, gegen eine prinzipielle Kostenübernahme der NIPD als GKV-Leistung zu stimmen. Sollte der Bundestag trotz der genannten ethischen Problematik die Einführung der NIPD beschließen, empfehlen wir dringend in Anlehnung an die Stellungnahmen der DGPFG (Deutsche Gesellschaft für psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe), der EKD und der Caritas, dass diese zwingend mit einer qualifizierten, ergebnisoffenen Beratung vor und nach einer pränatalen Diagnostik verbunden ist. Die personellen und finanziellen Voraussetzungen hierfür sind derzeit nicht gegeben. Zudem fordern wir, die gesellschaftlichen Ressourcen zur Betreuung und Beratung förderungsbedürftiger Kinder und deren Familien deutlich auszubauen und somit Schwangere in der Konfliktsituation dabei zu unterstützen, ihr Kind auszutragen. Auf diese Weise würde eine Kultur des Lebens und der Vielfalt gefördert werden.

Die Quellenangaben befinden sich im Dokument zum Download.

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