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Weltanschauungen
Text 14 Min.

Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit

„Das ist ein Apfel. Manche Leute wollen Ihnen vielleicht erzählen, es sei eine Banane. Vielleicht schreien sie immer wieder ‚Banane, Banane, Banane‘. Oder sie schreiben BANANE in Großbuchstaben. Allmählich glauben Sie vielleicht sogar, dass es eine Banane ist. Aber es ist keine. Es ist ein Apfel.“ So hieß es in einem Werbespot des Nachrichtensenders CNN kurz nach der Wahl Donald Trumps 2016 – zu sehen war ein Apfel. Der Spot wurde vielfach diskutiert, teils persifliert, was ja ein Gütesiegel ist. Wir merken heute, wie wichtig die Wahrheit ist.

Denn machen wir eine Reise in die Zeit vor Corona: als man einander noch die Hand gegeben hat und die meisten Aerosol für ein Deo gehalten hätten. Wenn man damals geäußert hätte: „Wir veranstalten eine Konferenz zum Thema Wahrheit“ – dann hätten viele wohl wieder an den US-Präsidenten gedacht. Etwa als er behauptete, die Menschenmenge bei seiner Amtseinführung sei deutlich größer gewesen als zuvor bei Barack Obama – obwohl alle Fotos das Gegenteil zeigten. Seine Pressesprecherin dazu: „We have alternative facts.“ George Orwell hätte seine helle Freude gehabt. Weniger witzig, weil viel wichtiger, sind solche Behauptungen bei anderen Themen. Ist zum Beispiel der Klimawandel auch nur „Fake“? Das zu behaupten hat handfeste ökologische Konsequenzen. Dennoch fallen Menschen, auch manche Christen, darauf herein. Sie folgen sogar Verschwörungstheorien, die typisch sind für Krisenzeiten. Und schließlich: Diesen Sommer lässt sich Trump den Fußweg von seinem Amtssitz zu einer Kirche mit Polizeigewalt freiknüppeln. Um dort mit einer Bibel zu posieren. Als wolle er den Kritikern Recht geben, die behaupten: Hinter dem christlichen Wahrheitsanspruch steckt eben doch ein Machtanspruch. Und wir Christen, wollen immer noch bekennen: „Jesus ist die Wahrheit“? Sind wir sicher? Meine Antwort: Ja, wir reden von Jesus als der einen Wahrheit; mit Überzeugung, und mit guten Gründen:

1. Die Zeit zeigt, wie wichtig die Wahrheit ist

Von wem stammt wohl das folgende Zitat: „Wenn es darum geht, echte Probleme zu lösen, dann hat die Wahrheit einen klaren praktischen Vorteil: Sie funktioniert. Ein Ingenieur, der eine Brücke auf Basis unwahrer Fakten konstruiert, wird mit ziemlicher Sicherheit ein Bauwerk schaffen, das später einstürzt. Wahrheit ist enorm nützlich.“ Das stammt aus dem SPIEGEL, vom März 20202; es geht um das Pandemie-Management der US-Regierung. Die Wahrheit macht eben einen Unterschied! Ist das Virus ansteckend, ist ein Medikament wirksam? Natürlich haben wir oft unvollständige Informationen, müssen uns korrigieren – aber wir tun das gerade, weil wir nach Wahrheit suchen.

Deswegen sind Christen – eigentlich – wissenschaftsfreundlich. Weil sie davon ausgehen: Die Schöpfung gehorcht Gesetzen – und unser Verstand ist zwar begrenzt und fehlbar, aber grundsätzlich von Gott dafür konstruiert, diesen Gesetzen auf die Spur zu kommen.

Deswegen gibt es auch eine Erfolgsgeschichte von Naturwissenschaft gerade in der westlichen Kultur, die ursprünglich von dieser Sicht geprägt ist. Das läuft der populären Vorstellung zuwider, Glaube und Naturwissenschaft stünden notwendig in Spannung. Doch zum Glauben gehört das Zutrauen: Die Welt ist von Gott geordnet, also sollen und dürfen wir sie erforschen. Mehr dazu in den Büchern von John Lennox.
Deswegen sollten Christen darauf beharren: Es gibt einen Unterschied zwischen wahr und falsch. Das ist gerade in dieser Zeit unerlässlich. Denn was wäre die Alternative? Der Philosoph Thomas Grundmann schreibt: „Sobald man die objektive Wahrheit als Bezugsgröße abgeschafft hat oder sie in Vergessenheit geraten ist, gibt es keinen Raum mehr für rationale Kritik von Haltungen und Positionen, weil sich die Frage der Legitimität oder Richtigkeit dann nicht einmal mehr stellen lässt.“4Wahrheit ist wichtig. Also suchen wir nach ihr, sorgfältig, selbstkritisch. Das ist nichts Neues:

2. Wahrheit war schon immer unverzichtbar

Ein Außenposten des Großreichs: Der lokale Verwalter, Chef der Militärpolizei, sitzt in seinem überhitzten Büro, herein kommt ein Mitarbeiter. „Da ist schon wieder einer, um den sie sich streiten. Sie sagen, er behauptet, ein König zu sein.“ – „Ein König?!“ Pilatus lacht ungläubig. Dann steht Pilatus vor Jesus. Dieser Rabbi sieht nicht gefährlich aus, er trägt kein Schwert. Seine Worte sind nicht leicht zu verstehen, dennoch klar; er scheint ganz genau zu wissen, wovon er spricht. Pilatus: „Also, bist du jetzt König der Juden?“Jesus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, dann würden meine Diener kämpfen. Aber mein Reich ist nicht von hier.“ Pilatus (seufzt): „Aber du bist ein König?“ Jesus: „Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“ Pilatus: „Was ist Wahrheit?“

Das klingt fast wie gängige postmoderne Vorbehalte: „Wahrheit“ sei nur ein Instrument, um Interessen durchzusetzen. Oder vorsichtiger: Wahrheit sei immer perspektivisch, subjektiv. Und sowieso: „Wir können uns irren.“ Jeder Wahrheitsanspruch stehe unter dem Vorbehalt des Irrtums. Dazu sage ich: Ja, können wir. Wir können uns irren. Aber heißt das, dass es deswegen keine Wahrheit gibt? Das wäre selbstwidersprüchlich. Denn um einen Irrtum als solchen zu entlarven, muss man ihn mit einer Wahrheit vergleichen. Ohne Wahrheit kein Irrtum. Das gleiche gilt für den Satz: „Es gibt keine allgemeine Wahrheit.“ Was ist mit dem Satz selbst? Ist der Satz wahr oder unwahr? So oder so hebt er sich damit selbst auf. Radikaler Relativismus ist immer selbst-widersprüchlich. Deswegen kehrt man auch in der Philosophie schon seit einer Weile zu einem realistischen Wahrheitsbegriff zurück: „Wahrheit“ meint eine Realität auch außerhalb und unabhängig von unserem Sprechen und Denken.

Und wie ist es mit der Bibel? Teils wird ja erklärt: Wenn die Bibel von Wahrheit rede, dann vor allem hebräisch, nicht abstrakt. Das hebräische Wort für Wahrheit, ämät, bedeutet zuerst Treue. Es stimmt, Wahrheit ist in der Bibel nie nur theoretisch. Etwas ist wahr, weil Gott verlässlich ist. Aber: Dann ist es eben auch wahr, also sachlich zutreffend. So ist Glaube an Jesus natürlich mehr als nur die Zustimmung zu wahren Sätzen, aber eben mindestens das. Auch meine Ehe erschöpft sich ja nicht im Glauben an die Existenz meiner Frau. Aber ohne diesen Glauben könnte ich schlecht verheiratet sein. So verwenden Menschen ganze Vorträge auf den Nachweis der Wahrheit eines Satzes wie: Jesus ist von den Toten auferstanden. Und es gibt Menschen, die durch solche Nachweise zum Glauben finden. Ich bin einer davon. Mir ist mein Leben viel zu kostbar, als mich mit weniger zufrieden zu geben als mit verlässlicher Wahrheit.

3. Jesus ist auch als Wahrheit einzigartig

Wir befinden uns in Jerusalem, die Stadt brodelt, in den Straßen die Schritte von Soldaten. Erst hatten die Menschen Jesus zugejubelt. Jetzt wendet sich das Blatt, Gefahr liegt in der Luft. Jesus zieht sich zurück. Er führt mit seinen Jüngern lange Gespräche, letzte Worte; die sogenannten Abschiedsreden (Johannes 13–17). Er sagt sinngemäß: „Ich gehe ins Leiden, und durch das Leiden hindurch. Dann warte ich auf euch. Und den Weg, den kennt ihr eigentlich schon.“ Thomas: „Entschuldigung, aber: Wir wissen nicht mal, wo du hingehst. Also kennen wir auch nicht den Weg.“ Jesus: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Le-ben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“

„Ich bin“ – zwei Worte wie Glockenschlag. So hat sich Gott schon Mose vorgestellt: Ich bin, der ich bin. Was tut Jesus, um diesen Anspruch zu untermauern? Engagiert er römische Söldner, und lässt sich den Weg zum Tempel freiknüppeln, um dort mit einer Schriftrolle zu posieren? Emigriert er auf eine Mittelmeerinsel, von der Sonne verwöhnt, und schreibt ein Buch: „Die Wahrheit ist in dir“? Nein: Er geht ans Kreuz. Drei Seiten weiter im Evangelium wird Jesus verurteilt, verspottet, verprügelt. Und wehrt sich nicht. Dann muss er ein schweres Holzkreuz durch die Stadt tragen, durch die Menge hindurch, zur Müllkippe vor den Toren der Stadt. Dort wird er an das Kreuz genagelt, und stirbt, und geht durch den Tod hindurch, und wehrt sich nicht. Das heißt, er be-wahrheit-et, was schon bei Jesaja geahnt wurde: Er nicht! Er macht es anders als die Herrscher dieser Welt, er antwortet auf Gewalt nicht mit Gewalt: „Siehe, das ist mein Knecht (...) und mein Auserwählter (...) Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“8 Das ist die Wahrheit, von der wir leben.

Nur diese Wahrheit haben wir anzubieten: eine schutzlose Wahrheit, die nicht auftrumpft, man kann sie überhören. Wir würden es uns vielleicht anders wünschen: weniger Gleichgültigkeit, bei den Menschen, die wir erreichen möchten. Oder weniger Gegenwind, etwa an Unis und Schulen. Oder mehr Eindruck: das eine Thema, das zündet und die Hörsäle füllt. Das hat es schon gegeben und kommt vielleicht auch wieder. Aber auch jetzt schon, und unabhängig davon gilt: Nur diese Wahrheit, aber diese Wahrheit haben wir anzubieten. Denn Jesus ist einzigartig wahr, und seine Wahrheit ist von einzigartiger Qualität. Das heißt: Wenn wir von ihm reden, dann nur so wie er: so gewaltlos, schutzlos, und so selbstbewusst, weil sendungsbewusst. Und: so freundlich, so klug, so witzig, so leidensbereit und überraschend wie er. Was dann passieren kann, ist noch gar nicht abzusehen.

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