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Ethik
Text 32 Min.

Nachhaltiger Genuss aus christlich-ethischer Perspektive

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Nie zuvor in der Geschichte war dem hiesigen Durchschnittsbürger sein Essen so fremd wie heute. Mehrere Faktoren haben diese Entwicklung beeinflusst. Zu nennen sind die Verstädterung, die Industrialisierung der Herstellungsprozesse sowie die Konzentration des global organisierten Nahrungsmittelvertriebs auf große Handelsketten, auf die Produzenten wie auch Konsumenten angewiesen sind. Was auf den Tisch kommt, ist unter Bedingungen produziert worden, die allein der Logik der Effizienz und Gewinnmaximierung verpflichtet sind.
Das Problem dabei liegt in der fehlenden Nachhaltigkeit. Zwar stimmt es, dass Nahrungsmittel inzwischen sehr preisgünstig hergestellt und vermarktet werden können und der Anteil des Einkommens, der in Deutschland für Lebensmittel aufgewendet werden muss, historisch niedrig ist. Allerdings sind Lebensmittel nie einfach nur Ware, denn ihre Herstellung ist auf das Engste mit den natürlichen Lebensgrundlagen verbunden.


Wirtschaftliche Erwägungen brauchen den ethischen Rahmen der Bewahrung dieser Grundlagen, damit auch kommende Generationen (gut) leben können. Doch der allein nach der Logik der Effizienz organisierte Markt tendiert dazu, dass infolge der Ausbildung von Monokulturen (z. T. ganzer Staaten) die weltweiten Boden- und Wasserressourcen überbeansprucht werden, sich die genetische Artenvielfalt verringert und es zu artwidrigen Praktiken der Tierhaltung kommt, bei der Tiere nur noch als Produktionseinheiten wahrgenommen werden.
Dass der alltägliche Konsum von (billigem) Fleisch möglich ist, ist eine Folge der „lifestock revolution“ der 1960er Jahre. Sie ging mit dem Bau neuer Bewässerungssysteme und leistungsfähigerer Maschinen sowie dem Einsatz neuer Technologien in Tierzucht, Tierhaltung und Schlachtung einher. Die industrielle Fleischproduktion vermag billiges Fleisch zu produzieren, weil Tiere artwidrig auf engstem Raum gehalten und in kürzester Zeit zur Schlachtreife gebracht werden.


Um von widrigen Umweltbedingungen unabhängig zu werden und Krankheiten zu verhindern, ist der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden (bei Pflanzen) sowie Antibiotika (bei Tieren) unverzichtbar geworden. Heute stagniert der Fleischverbrauch in den Industrieländern auf sehr hohem Niveau (EU: 93 kg pro Kopf pro Jahr). Doch wir zahlen für billiges Fleisch einen hohen Preis. Der hohe Ausstoß von Treibhausgasen, für den die Massentierhaltung stärker verantwortlich ist als der Straßenverkehr, trägt zum Klimawandel bei; die Landwirtschaft verbraucht 70 % der weltweit vorhandenen Süßwasserreserven, und der systematische Einsatz von Antibiotika an Tieren führt zu einer wachsenden Wirkstoff-Resistenz beim Menschen.


Kann es Christen gleichgültig lassen, wenn Genuss Gewalt an den natürlichen Lebensgrundlagen bedeutet? Wenn sie zwar Gott als Herrn der Geschichte bekennen, mit ihren Gewohnheiten und Nahrungsvorlieben aber selbst den Schlussstrich unter diese Geschichte ziehen? Dessert: Eine kleine Ethik des Essens Der Appetit ist einigen am Tisch jetzt erst einmal gründlich vergangen. Wir lassen das Dessert heute einpacken, weil wir es ohnehin mit – in den Alltag nehmen wollten. Was folgt aus den soweit entwickelten Gedankengängen?

1. Lebensmittel als Gabe:
Nach christlicher Sicht macht es einen Unterschied, ob das Essen „Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“, d.h. Als gute Gabe Gottes, oder als jederzeit schnell verfügbare, kostengünstige Ware angesehen wird. Mit Dankbarkeit kann nur die Gabe empfangen werden, weil bei der reinen Ware der Geber als Adressat des Dankes entfällt. Nahrungsmittel können sehr wohl als Gabe und Ware verstanden werden, die Frage ist, ob die theologische oder die ökonomische Perspektive leitend ist. Wer Gott für Lebensmittel dankt, der wird frei von dem Zwang, das „gute Leben“ für sich selbst sichern zu wollen, welchen Preis andere Menschen oder die Natur dafür auch zahlen mögen. Wenn Jesus die Himmelsgabe für das „Leben der Welt“ ist, dann kann Christen diese Welt samt der in ihr vorherrschenden Herstellungsund Handelsbedingungen nicht gleichgültig sein.

2. Maßhalten als Tugend:
Für den Verzicht auf bestimmte Produkte wie z. B. Fleisch aus Massentierhaltung lassen sich gute Gründe angeben: Wer auf etwas zu verzichten lernt, bezeugt damit, dass für ein Leben in Fülle Gott genug ist. Wer verzichten kann, entlarvt die Logik des „immer mehr“ als Betrug und übt sich in Selbstdisziplin, die den Charakter reifen lässt. Wer einfacher lebt, ermöglicht es anderen, auch zukünftigen Generationen, überhaupt zu leben.
Maßhalten ist kein Weltverbesserungsrezept. Wer sich beim Essen beschränkt, öffnet sich für die Wirklichkeit Gottes, der durch seine Kinder in dieser Welt wirken will. Wer sein Essen bewusster – und das heißt m. E. saisonal, regional, ökologisch sensibel – einkauft, der anerkennt, dass, wenn es ums Essen geht, die Logik der Effizienz nicht alles ist.


3. Glauben und Handeln:
Wer als Christ nach dem moralisch guten Essen fragt, der will damit keine neue Religion oder Weltanschauung begründen.
Es geht einfach um die Frage, ob vom Tisch des Herrn, in dessen Gaben Jesus sich schenkt, etwas für unseren täglichen Mittagstisch abfällt, oder ob beide unverbunden bleiben. Die Frage nach dem nachhaltigen Konsum, nach Vegetarismus oder überhaupt der Verwendung von Tierprodukten, wie Veganer sie stellen, ist keine „Glaubensfrage“, sie gehört nicht zum „Letzten“ (D. Bonhoeffer), weil unser Heil nicht an ihr hängt.


Sie ist aber auch nicht gleichgültig, weil gedankenloses Handeln von Christen anderen Menschen den Weg zum Heil erschweren kann. Wie glaubwürdig sind Christen, die den Herrn dieser Welt feiern, denen aber die von ihm im Dasein gehaltene Welt egal ist? Wer Fragen des Essens in den ersten Rang einrückt, erklärt eine bestimme Lebensweise zum neuen Gesetz. Ein Gesetz wird aber andere kaum dazu motivieren, sich der Frage zu stellen, was sie in ihrem Leben ändern sollten, um nachhaltiger zu konsumieren und zu leben. Umgekehrt sollten Christen, die Jesus auch in ihrer Ernährungsweise ehren und bezeugen wollen, weder abfällig belächelt noch unter Verdacht gestellt werden, in Wirklichkeit glaubensfremde Ziele zu verfolgen.


4. Der Wechsel von Feiern und Fasten:
Wer den christlichen Glauben mit radikaler Askese identifiziert, verleugnet den Wechsel von Feiern und Fasten, der für das irdische Leben Jesu so markant war. Wird einseitig die asketische Dimension der Christus-Nachfolge betont, sind vielleicht die gerade vorherrschenden Ideale von Schönheit, Schlankheit und Fitness bestimmender geworden als das Evangelium. Christlicher Glaube lebt im Wechsel von Feiern und Fasten. Es braucht beides, denn wir haben allen Grund, die Güte des Schöpfers zu feiern.


Wir haben aber auch allen Grund, gegenüber der Not dieser Welt nicht gleichgültig zu bleiben. Gottes Liebe zur Welt geht auch durch unseren Magen. Wie üppig der Tisch auch gedeckt sein mag, bei der Tischgemeinschaft geht es im tiefsten Sinn um genau dies: Gemeinschaft zu erleben. Das Essen soll etwas Verbindendes sein, nicht Trennendes vertiefen. Es hat daher seinen guten christlichen Sinn, bei Einladungen zu Tisch (außer bei medizinischer Indikation) der Weisung Jesu an seine Jünger zu folgen: „Esst, was euch vorgesetzt wird“ (Lk 10,8).

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