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Ethik
Text 32 Min.

Nachhaltiger Genuss aus christlich-ethischer Perspektive

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Als Gott die Welt erschafft, setzt er den Menschen in einen fruchtbaren Garten.Der Mensch ist als Ebenbild Gottes dessen Repräsentant auf Erden und mit der Fürsorge für die Schöpfung betraut. Im Genießen der Schöpfungsgaben soll er die Güte Gottes, am Baum der Erkenntnis von Gut und Böse das Gebot Gottes erfahren. Dabei fällt auf, dass die differenzierte Zuteilung der Nahrung an Mensch und Tier ohne Blutvergießen auskommt (vgl. Gen 1,29-30). Der Grund für den paradiesischen Vegetarismus liegt im Respekt vor dem Leben, über das der Mensch kein freies Verfügungsrecht erhält (vgl. Gen 9,6).


Auch wenn sich eine vegetarische Stufe in der Entwicklungsgeschichte des Menschen nicht nachweisen lässt, macht diese Geschichte „hinter“ der Geschichte doch deutlich: Der Mensch gedeiht, wenn er nach Gottes Willen genießt, gestaltet und zugleich gesetzte Grenzen respektiert. Als Geschöpf muss er sich seine Existenz nicht selbst sichern, denn der Schöpfer versorgt ihn.


Der Mensch ist als Verwalter einerseits vor seiner natürlichen Lebenswelt ausgezeichnet, er ist andererseits durch die Arbeit wie durch die Weitergabe des Lebens mit ihr verbunden, so dass die ganze Schöpfung im Lobpreis Gottes zusammenfindet (Ps 98).


Dass der Sündenfall mit dem unerlaubten Essen der Frucht vom Baum in der Mitte des Gartens in Verbindung gebracht wird (Gen 3), zeigt die Gefährdung, die selbst in elementaren Lebensvorgängen wie dem Essen liegt. Wenn über der Gabe der Geber und Gebieter vergessen wird, kann, was verlockend aussieht, ein nicht mehr beherrschbares Verlangen wecken.


Essen kann Gemeinschaft stiften, es kann aber auch Ausdruck verzehrender Selbstsucht sein. „Jenseits von Eden“ ordnet Gott die Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt neu. Gott gestattet dem Menschen neben den Pflanzen auch Tiere zu essen (Gen 9,3), ohne dass sich daraus ein freies Verfügungsrecht über das Tier ableiten ließe: Die Tötung eines Tieres muss als rituelle Schlachtung vollzogen, das Blut darf nicht verzehrt werden. Gott schließt zudem ausdrücklich die Tiere in den Noah-Bund ein (Gen 9,10) und gibt in der Tora Israel zahlreiche Weisungen für den achtsamen Umgang mit Tieren sowie zur Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren.


Die theologischen Implikationen sind deutlich: Die Tötung eines Tieres zu Nahrungszwecken ist, wie Karl Barth es formuliert, „eigentlich nur möglich als ein im Tiefsten ehrerbietiger Akt der Buße, der Danksagung, des Lobpreises“ gegenüber dem Schöpfer (KD III/4, 403). Für Israel gibt es kaum Fleisch ohne das Opfer, das Gott dargebracht wird.


Die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren (deren Deutung bis heute strittig ist) begrenzt zudem die Verfügbarkeit des zum Verzehr möglichen Fleisches. Der Bundesschluss macht schließlich deutlich, dass die Tiere in das Reich der moralischen Zwecke eingeschlossen sind.In heutiger Sprache gesagt: Sie sind zwar keine „moral agents“, aber doch „moral patients“, deren Behandlung durch den Menschen Gott nicht gleichgültig ist (vgl. Spr 12,10).


Auch die Befreiung aus den zerstörerischen Bindungen und unbeherrschten Regungen der Sünde illustriert das Neue Testament mit dem Vorgang des Essens, wenn es davon spricht, dass Jesus im Glauben als das Brot des Lebens (Joh 6,48) aufgenommen wird. In seltener Verschränkung der Bilder identifiziert Jesus dieses Brot, „das vom Himmel kommt“ mit seinem „Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt[!]“ (Joh 6,51). Er erinnert daran, dass, wer ihn aufnimmt, in eine bleibende Gemeinschaft eintritt, womit die ernährungsphysiologische Metapher gesprengt wird: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm“ (Joh 6,56). Damit interpretiert Jesus eine Praxis, die seinem irdischen Weg ihr besonderes Gepräge gegeben hat.
Gemeint sind die Mahlzeiten, in denen Jesus als Gast zum Gastgeber wird, bis hin zum letzten Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern feiert, bevor er am Kreuz seine Ganzhingabe vollendet.


Das Neue Testament erweckt nicht den Eindruck, Jesus sei Vegetarier gewesen. Jesus wusste zu feiern (Joh 2,1ff.) und blieb auch die Begründung dafür nicht schuldig (Mk 2,18ff.). Doch im Feiern wie im Fasten geht Jesus dem Kreuz entgegen. Sein stellvertretendes Sterben ändert das „Leben der Welt“, hat Konsequenzen also auch für die Tiere: Darin, dass Jesus sein Leben opfert, kommt der Opferkult an sein Ende – ein Opferkult, der jedes Jahr tausende Tiere ihr Leben kostete. Der von den Propheten verheißene Tierfrieden (Jes 11,6f.) bricht darin an, dass Tiere nun nicht länger für die Sünden der Menschen ihr Blut vergießen müssen. Dieser Vision entsprechend kommt auch das Abendmahl ohne Blutvergießen aus. Es wird mit Brot und Wein gefeiert, weil das Blut des neuen Bundes, der den Zugang zum Vater eröffnet, bereits vergossen ist.


Wo das Abendmahl – wie der Apostel Paulus mahnt nicht neue Schranken aufrichtet, weil Speisevorschriften oder unsoziales Verhalten die geschenkte Einheit verdunkeln, da wird das eucharistische Essen und Trinken zum Vorgeschmack auf das himmlische Festmahl, das als sprechendes Bild für die Vollendung der Gemeinschaft mit Gott verwendet wird (Offb 19,7).


Halten wir fest: Durch das Essen vom Baum der Erkenntnis ist der Mensch gefallen, im Essen vom Brot des Lebens feiert er die wiederhergestellte Gemeinschaft mit Gott. Darin liegt der tiefste Sinn der Gemeinschaft, die in einer Mahlzeit Ausdruck findet. Weil nun alle Dinge „von ihm und durch ihn und zu ihm sind“ (Röm 11,36), daher weist jede Tischgemeinschaft über sich hinaus. Sie weist damit auch auf die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge, in die sie eingebunden ist. Diese Zusammenhänge kündigen sich mit dem nächsten Gang schon an.

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