Hamburger-Icon
Weltanschauungen
Text 10 Min.

Wie Wunder Denkvoraussetzungen herausfordern

Das Unfassbare geschieht
„Hirntumor“ lautete die Diagnose für einen bekannten von mir. Schon länger hatte er Doppelbilder gesehen. Der Hirnscan ist eindeutig. Mein Bekannter ließ einen Freund für sich beten. Nach vier Wochen trat er in einer hirnchirurgisch renommierten Klinik zur Voruntersuchung an – wieder in den Tomographen.

Es folgte die Überraschung: die Operation wurde abgesagt. Der lebensbedrohende Herd war verschwunden wie auch schon am Vortag die Symptome. „Ich gratuliere Ihnen, Sie sind gesund!“ Die Lokalpresse interviewte den stadtbekannten Pfarrer ausführlich über die wunderhafte Genesung. Und er lebt noch heute – 20 Jahre später.

Unsere Reaktion
Natürlich reagiert jeder erstmal mit Freude über die Heilung. Aber kann das ein Wunder sein oder ist die Erklärung eher die unvollkommene Medizin? Ob wir Wunder für möglich halten, hängt entscheidend davon ab, mit welchem gedanklichen Filter wir die Welt sehen. Vier solche Weltanschauungen wollen wir betrachten.

„Man kann es nicht wissen“ (Agnostizismus)
„Vielleicht war es übernatürlich, vielleicht Zufall. Wie sollten wir das entscheiden können? Wir können es nicht wissen.“ Wer ständig mehr Informationen erhält als er nachprüfen kann, ist sicher zu Recht skeptisch.
Aber kann man sich seines „Nichtwissenkönnens“ sicher sein? Treffen wir nicht alle Entscheidungen auf der Basis einer unzureichenden Beweislage? Ob vor der Hochzeit oder vor Gericht: wir prüfen Argumente und entscheiden dann. Fehler bestätigen dabei unsere Intuition, durchaus etwas wissen zu können – auch ohne mathematischen Beweis (wobei Mathematik selbst auf unbeweisbaren Annahmen beruht). Warum sollte das nicht auch für Wunder gelten?
Wissen wir genug über Gott und das Universum, um Wunder ausschließen zu können?
„Wenn Gott existiert, besteht keine Sicherheit gegen Wunder“ (Robert Spämann)!

„Es geht alles mit rechten Dingen zu“ (Naturalismus)
„In der Natur geht alles mit rechten Dingen zu. Die Forschung wird alle vermeintlichen Wunder enträtseln...“ Warum sollten wir angesichts der Erfolge der Naturwissenschaft unerforschbare Götter einführen?
Doch Naturwissenschaft befasst sich prinzipiell nur mit dem Regelhaften. Ein Wunder ist nicht wiederholbar. Um Wunder auszuschließen, müsste man beweisen, dass Eingriffe von außen in die Natur unmöglich sind. Doch schon die Quantenphysik legt uns z.B. im radioaktiven Zerfall „spontane“ Ereignisse ohne nachvollziehbare Ursache nahe. Kosmologen zeigen, dass unser Universum einen Anfang hatte. Was ist dann seine Ursache? Und woher kommen die unglaublich präzisen, für unsere Existenz nötigen Feinabstimmungen? Ist das Universum geplant? Und kann unser Verstand allein aus verstandloser Materie erklärt werden?
Wenn aber die Natur offen ist, warum sollten Wunder unmöglich sein?

„Der Glaube versetzt Berge“ (Esoterik)
„Alles ist dem möglich, der stark genug glaubt.“ Wer die geistige Dimension richtig zu nutzen weiß, kann die materielle Ebene verändern. Vermutlich hat der Pfarrer durch das Gebet die Macht über seinen Körper wiederhergestellt.
Aber was ist dann mit denen, die auch geheilt werden wollten, aber weder ihre eigenen Versuche noch Ärzte vermochten ihnen zu helfen? Haben sie einfach nicht richtig geglaubt? Und wo bleiben die Grenzen, die uns die Regelhaftigkeit der Natur setzt? Wunder fallen uns doch gerade deswegen auf, weil sie vom Regelmäßigen abweichen und uns nicht verfügbar sind.

„Gott, wenn Du willst...“ (Theismus)
„Wunderbar ist das Eingreifen Gottes in seine gefallene Schöpfung. Gepriesen sei Gott für seine Gnade!“ Die Regelmäßigkeiten der Natur verdanken wir Gottes Wirken (vgl. 1. Mo 8:22, Kol 1:15f) und ermöglichen uns das Verstehen und Kontrollieren der Natur. Gott kann die Naturgesetze gebrauchen (z.B. den Ostwind beim Exodus), aber auch durchbrechen (z.B. bei der Auferstehung Jesus von den Toten). Wunder sind bei Jesus nie Selbstzweck, sondern haben einen tieferen Sinn. Sie verdeutlichen das Wesen Gottes. Sie sollen uns nicht das Diesseits angenehmer einrichten, sondern verweisen auf das ultimative Wunder, die Neuschöpfung der kommenden Welt.

Wunder fordern unser Vorstellungsvermögen heraus, gerade weil unser Verstand sie nie ganz ausloten kann.

Ähnliche Artikel