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Weltanschauungen
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Christlicher Wahrheitsanspruch im Zeitalter des Postmodernismus

Heutzutage vertritt der Ägyptologe Jan Assmann etwas ähnliches wie Mendelssohn und Lessing. Er meint, ein offenbarter Weg zum Heil sei eine „Quelle potentieller Gewalt“. „Das Gefühl der Unvereinbarkeit [kann] unter bestimmten Umständen in Intoleranz, und Intoleranz in Gewalt umschlagen.“


Natürlich kann eine Religion zu Gewalt aufrufen. Insbesondere, wenn sie den Anspruch erhebt, die Religion des ganzen Landes zu sein, und Staatsgewalt verwendet, um sich durchzusetzen, kann daraus Gewalt und Unterdrückung entstehen. Aber wenn eine Religion Gewalt fördert, liegt das nicht daran, daß sie einen bestimmten Weg zum Heil lehrt. Sondern es liegt daran, daß ihre Lehrschriften oder ihre Leiter zur gewaltsamen Verbreitung dieser Religion aufrufen. Beim Christentum zum Beispiel ist das aber mitnichten der Fall. Aus dem Neuen Testament geht klar hervor, daß die Christen das Evangelium weitersagen sollen. Man kann es gar nicht mit Gewalt verbreiten, denn man wird nur dadurch Christ, daß man das Evangelium aus freiem Willen annimmt. Auch ist die Gemeinde stets als eine Gruppe in einer nichtchristlichen Umwelt dargestellt. Die Vorstellung, daß das Christentum Religion eines ganzen Landes wird und Irrlehrer durch die Staatsgewalt bestraft werden, liegt dem Neuen Testament fern.


Die bloße Tatsache, daß jemand Wahrheitsbehauptungen aufstellt, macht ihn nicht gewalttätig oder intolerant. Wenn es so wäre, dann gölte es übrigens genauso für diejenigen, welche die Behauptung aufstellen, daß es keinen offenbarten Weg zum Heil gebe. Also für Mendelssohn, Lessing und Assmann. Das stimmt ebenso wenig wie die Behauptung, daß der christliche Wahrheitsanspruch zu Gewalt oder Unterdrückung führt. Allerdings können wir beobachten, daß die These, daß Religionen mit offenbartem Heilsweg intolerant seien, im Westen manchmal für Unterdrückung verwendet wird. Mit „Hate-speech laws“ oder Anti-Sekten-Gesetzen werden manchmal Menschen dafür bestraft, den christlichen Heilsweg darzulegen oder den Islam zu kritisieren.
Behauptungen und Überzeugungen gehören zum Wesen des Menschen, sie sind unvermeidlich und an sich nicht gefährlich. Das gilt für die Religion genauso wie für andere Bereiche. Die Überzeugung, daß man die Ungläubigen töten soll, wenn sie sich nicht der Religion X anschließen, ist natürlich gefährlich. Aber die Überzeugung, daß Gott das Gute will und daß man daher die Rechte aller Menschen respektieren muß, führt zu gutem Verhalten.


Das Christentum behauptet, daß ein Mensch durch die Bekehrung zu Jesus Christus – und nur dadurch – „ewiges Leben“ erhält. Der Islam behauptet, daß diejenigen Menschen in den Himmel eingehen, welche die Lehren des Islam glauben und befolgen. Lessing, Mendelssohn und Assmann behauptet, daß es keinen offenbarten Weg zum Heil gibt. Das sind alles Behauptungen, es sind Wahrheitsansprüche. Die richtige Reaktion auf diese einander widersprechenden Behauptungen ist, die Wahrheit zu suchen.


Lessing, Mendelssohn und Assmann wollen klug klingende Kritik am Christentum äußern, obwohl sie keine echten Argumente haben. Anstatt sich wirklich die Frage zu stellen, ob es einen Gott gibt und ob die christliche Lehre wahr ist, schwafeln sie Pseudogelehrtes über Wahrheit. Sie tragen etwas gegen das Christentum vor, aber was sie sagen, kann einen rationalen Menschen nicht überzeugen. Ihre Äußerungen erfüllen den gewünschten Zweck, denn sie halten Menschen davon ab, wirklich zu untersuchen, ob die christliche Lehre wahr ist, aber sie bewirken das nicht durch Argumente und vernünftige Überlegung, sondern durch Überredung und durch Ablenkung.

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