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Geschichte
Text 12 Min.

Warum reisten Maria und Joseph nach Bethlehem?

Der Annahme von Grundbesitz in Bethlehem oder sogar von Bethlehem als dem Herkunftsort des Joseph widerspricht auch nicht die Angabe des Lukas in Lk 2,7, dass das junge Paar „keinen Raum in der Herberge“ (LÜ) fand. In unendlich vielen Krippenspielen wurde diese Szene nachgespielt: Das junge Ehepaar irrt heimatlos durch die fremde Stadt, Maria noch dazu hochschwanger. Sie suchen vergeblich ein Zimmer in einer Herberge. Ein Gastwirt nach dem anderen weist ihnen die Tür, da alle Zimmer belegt sind. Am Ende findet ein freundlicher Herbergsvater noch etwas Platz in seinem Viehstall bei einer Futterkrippe. So bekannt diese Geschichte auch immer sein mag, sie gibt nicht wieder, was Lukas schreibt. Vielmehr ist folgende Rekonstruktion historisch plausibler: Das Wort katalyma meint an dieser Stelle wohl keine Karawanserei, kein antikes Motel, wie die meisten deutschen Übersetzungen nahelegen, sondern den Gastraum eines einfachen Hauses. Dieser wird sich dann im Haus der Familie Josephs oder vielleicht auch in dem von Bekannten befunden haben. Möglicherweise war er bereits mit anderen, kürzlich angereisten Mitgliedern der Familie belegt, so dass Maria und Joseph im Hauptraum wohnen mussten. Oder war in dem Gastraum, den sie als junges Ehepaar bezogen hatten, kein Platz für die Geburt und die Unterbringung des neugeborenen Kindes, so dass beides in den Hauptraum verlegt wurde? In diesem Hauptraum befanden sich jedenfalls auch die „Krippe(n)“ des Hauses, da ein Teil davon nachts zur Unterbringung der Tiere diente.

Der Vermerk in Lk 2,39, dass Joseph, Maria und Jesus „wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt (eis polin heautōn) Nazareth“ (LÜ) reisten, bezöge sich dann auf die Zukunft, nicht auf die Vergangenheit. Schließlich sollte sich die Familie in Nazareth niederlassen, Jesus dort aufwachsen und als Jesus von Nazareth bekannt werden. Auch in Mt 2,22-23 beschließt die Familie Jesu nur aus Furcht vor Archelaos, dem Fürsten Judäas, nach Nazareth zu ziehen.

Unter dem hier vorgeschlagenen Szenario würden zwar die alljährlichen Krippenspiele leiden, müssten sie doch eigentlich umgeschrieben werden, näher an der historischen Realität, wie Lukas sie beschreibt, ist es aber allemal.

Als Zwischenfazit aus der Untersuchung des geschichtlichen Hintergrunds lässt sich festhalten: Die Erzählung des Lukas über den Zensus und die dadurch ausgelöste Reise Josephs und Marias nach Bethlehem lässt sich stimmig in diesen Hintergrund einordnen. Sie kann daher als historisch zuverlässig beurteilt werden. Das heißt, die ersten beiden Einwände E. Schürers (s.o.) können als entkräftet betrachtet werden. Ungleich komplizierter ist die Lage allerdings bei der verbleibenden Frage nach der Rolle des Quirinius. Dieser Frage wollen wir uns jetzt zuwenden.

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